Schmöker

Ein Wort das ich liebe. Einen Schmöker liest man nicht. Man verschlingt ihn. Du freust Dich, dass das Buch noch dreihundert Seiten hat und weisst gleichzeitig noch haargenau, was vor zweihundert Seiten passiert ist. Du vergisst die Zeit. Sie steht still. Die Welt überhaupt ist sehr still, der Kopf aber vielleicht weiss, oder die Wangen zumindest. Du fliegst über die Zeilen und es kommt Dir vor, als hättest Du nie zuvor so schnell gelesen - und doch so genau. Die Figuren stehen vor Deinen Augen, alles ist ganz klar.
Du willst nicht überlegen, nur lesen, schnell weiter. So spannend ist es.
Schmöker - dieses Wort ist für mich mehr-sinnig wie kein zweites. Es implementiert geradezu den Reiz des Buches für mehrere Sinne.
Ein solches Buch hat oft auch einen Geruch. Und das Papier ist nicht glatt, es hat Struktur. Alles lebt, teilt sich mit, atmet, prustet, streicht im Kopf und vor dem Haus herum. Alles ist möglich und nichts brauche ich mehr als eine nächste Stunde, in der, bitte, nichts läuft, auf dass ich weiter lesen kann. In aller Ruhe und doch aufgeregt, gespannt.
Gibt es eine bessere Unterhaltung?
Ein Schmöker ist ein Drehbuch für meine Gedanken, ich schreibe praktisch mit. Bitte, ich will nicht eingreifen, wünsche mir vielleicht einen Handlungsverlauf, nehme aber den Lauf der Geschichte als gegeben hin, pflanze meine Phantasie in die Gesichter der Menschen, in die Landschaften, und ansonsten geniesse ich die Dialoge und höre die Stimmen.
Ich habe einen Wälzer in der Hand, eigentlich, aber ein Schmöker ist niemals zu lang. Bei einem Schmöker lese ich immer wieder den Klappentext, und ganz zum Ende nochmals, hinten, über den Auto, weil ich nicht Abschied nehmen möchte. Was nur hat er sonst noch geschrieben?
Ich frage mich gerade, ob ich einen Schmöker eher als ein anderes Buch wieder zur Hand nehme. Ich bin nicht sicher. Den gleichen Rausch werde ich nicht ein zweites Mal erleben. Vielleicht werde ich es nochmals lesen, aber dann ganz anders, nach den Zwischentönen suchen, und so den Schmöker doch noch zum Wälzer machen, mit dem ich die Buchdeckel mal zumachen kann, um einem Gedanken nachzuhängen, einer Wendung, einen Zwischenton zu hören.
Bücher sind wandelbar. Denn wir Leser wandeln uns auch und lesen immer unser eigenes Buch.

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