Montag, 2. April 2007

Kinderlieder

Ein Kind trällert oder summt oder brummt oder krächzt. Seinen eigenen Ohren ist es egal. Erst, wenn wir die richtigen Töne vorgeben, beginnt das Prüfende, sich selbst einengende, die Selbstkorrektur.
Ich habe nie singen gelernt, bin unmusikalisch in der ursprünglichsten, wirklich Seelenschmerzen verursachenden Form, wann immer ich diese Erkenntnis nicht für mich behalte und sie nicht nur kundtue sondern mich gegen sie verhalte - also singe. Das geschieht sehr selten, fast gar nie, denn ich tue mir damit ja mittlerweile selber weh.
Und als Kind - ja, da habe auch ich ursprünglich mal gesungen. Am Lagerfeuer in der Jungschar vor allem, im Ferienlager, in der behüteten Gemeinschaft, im Chor der eben doch keiner war...
Und meine ursprünglichste Kindheitserfahrung mit Liedern kommt nicht von einem Kinderlied, sondern von Drafi Deutscher. Marmor Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht - das habe ich mit Weltschmerz und Inbrunst gesungen, mit dem imaginären Mikrofon in der Hand, von der Rampe unserer steil abfallenden Garageneinfahrt herunter, ohne Rücksicht auf Verluste. Und das, lange bevor ich überhaupt wusste, wie gut und weh Liebe tun kann...
Song-Kontests allenthalben. Es ist wohl aller Menschen Traum, singen zu können, dass jedes Herz damit angerührt werden kann... Und wie mit allen Kinderträumen sollten wir sie einfach viel weniger leichtfertig hergeben, sollten sie uns mehr gönnen und uns weniger schämen oder grämen oder zurückhalten.
Eine Gemeinschaft der Kinder, in denen jeder Winnetou sein kann oder eine Prinzessin, in der jedes kleine Persönchen sich entfalten will und die Spielfreude in zittrigen fiebrigen hellen Wellen von Brust zu Brust wandert und die Wangen glühen, wenn gesungen wird - wer möchte sich solche Erinnerungen nicht bewahren?
Auf jeden Fall mehr als jene aus dem Blockflötenunterricht, in dem ich für die Ohren des Herrn Lehrers, der im Dorf seine Klavierabende zelebrierte, einfach nur eine Pein war, bis eines Tages das Holz der Flöte zwischen seinen gepressten und gekrallten Knöcheln, die im Krampf ganz weiss geworden waren, zerbarst. Gerne würde ich vergessen, dass es nicht seine rohe Kraft allein war, denn da war auch noch mein Kopf dazwischen und der Schmerz hat die Erinnerung an den Grund der verlorenen altväterisch-lehrerhaften Beherrschung nicht ausgelöscht, ganz im Gegenteil.
Und so singe ich nicht und werde nie singen und ich weiss auch: Ich kann es nicht.
Man muss nicht alles könnne. Es reicht ja auch, wenn ich beim Schreiben meine Hemmungen in der Schublade unter der Tischplatte lasse.
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