Freitag, 27. April 2007

Vorhänge

Früher habe ich mich immer über die Holländer gewundert. Dass sie die Vorhänge nicht zuziehen, oder besser, oft gar keine haben, schien mir immer exotisch - und war vielleicht, absolut formuliert, genau so falsch wie jedes andere Cliché. Da hat man also ein Fenster, um Durchblick zu haben und Licht - und dann hängt man Stoff davor, damit eben genau diese beiden Dinge fehlen oder zumindest eingeschränkt werden.
Ich sehe Dich, aber Du mich nicht. Bei Vorhängen funktioniert das gewollt, bei Glas und seinen Spiegelungen oft umgekehrt. Heute mag ich keine Vorhänge mehr. Ich lasse mir in die Wohnung schauen. Wenn ich sie dann ziehen will, die Vorhänge, dann ziehe ich mich bewusst zurück, für mich und und andere da sein wollend, und nur für die. Ein Vorhang ist aber auch eine Couverture für etwas Besonderes. Er öffnet den Blick auf eine Bühne. Vorhänge können alos auch aufgehen. Den Blick frei geben. Sie können fallen, ein Ende ankündigen. Sie können glänzen wie Samt oder schimmern wie Chiffon, können durchsichtig sein und doch nicht, wie ein Brautschleier.
Vorhänge geben vielleicht so einen Zauber zurück, den wir längst verloren haben, da wir gewohnt sind, alles an die Oberfläche zu zerren.
Wir ziehen uns aus, hängen uns vor die Vorhänge, gerade im Internet.
Scheinbare Anonymität ist nicht wirklich eine solche: In allem tun und lassen bieten wir immer ein Abbild, eine Szene, vor die wir keine Vorhänge ziehen könnnen, die verhindern könnten, dass wir uns selbst im Grunde sehr genau erkennen können. Und kein Vorhang ist so dicht, dass dahinter nicht unsere Antriebe erkennbar wären. Ein Windhauch, und plötzlich hebt sich ein Saum, weil wir ein Fenster offen liessen.
Vielleicht zerrt ihn jemand weg, den Vorhang, überrumpelt uns, reisst ihn nieder. Nicht gut, nicht schön und eine Verletzung, die nicht rückgängig zu machen ist. Da kannst Du ihn danach so lange Du willst, wieder aufhängen, den Vorhang. Er verdeckt nichts mehr, wirkt nur noch lächerlich.
Darum ist der wichtigste Vorhang wohl der, der uns in unserem Innersten vor Nebensächlichkeiten bewahrt, vor Verzettelung, wenn wir mal auf der Bühne der eigenen Seele stehen. Es gibt Vorhänge, hinter die wir selbst blicken können, und wo nur noch das Auge unseres Schöpfers mit uns sieht. Vielelicht zeigt er uns sogar die versteckten Vorhänge und hält uns fest, wenn wir Angst haben, mit uns selbst allein auf der Bühne zu stehen - oder im versteckten dunklen Raum.
Logo

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Für Ihre Post:

Selber Stichwortgeber(in) sein? Anregungen? Kritik? Mail an
kurt [at] thinkabout [.] ch

Letzte Kommentare

warum nicht mal etwas...
warum nicht mal etwas zynisch sein in dieser welt mit...
bonanzaMARGOT - 2016.03.26, 14:12
Schock
Ich hab mich von dem Schock noch gar nicht erholt,...
Josef Mühlbacher (Gast) - 2015.09.25, 18:52
Lob
Dankeschön. Das ist aber nett!
Thinkabout - 2014.08.08, 03:01
Ein richtig guter Text!
Ein richtig guter Text!
iGing (Gast) - 2014.08.07, 23:12

Status

Online seit 6243 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2016.03.26, 15:31

Credits


Allerhand Sachen
Gemeinschaft
Global
Göttliches
Mensch
Natur
Zum Blog(gen)
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren