Mittwoch, 2. Mai 2007

Vergessen

Vergessen gehen. Aus dem Gedächtnis fallen. Nicht erinnert werden. Wir vergessen, was noch zu tun gewesen wäre. Wir fallen anderen ins Wort, weil wir sonst Angst haben, zu vergessen, was unbedingt noch gesagt werden muss....
Wir leben alle in dieser unserer heutigen Welt, in der es eine Phrase bleibt, wenn wir sagen: Wenn's wichtig genug ist, wird es Dir wieder einfallen. Nein! Wie soll ich darauf vertrauen?! Abgesehen davon werde ich älter, habe Stress und darum schlicht einfach keine Zeit, die Margarine später extra kaufen zu gehen, wenn ich sie jetzt vergesse.
Wieviele Menschen habe ich vergessen? Wem wollte ich jetzt noch schreiben? Schon lange. Ich weiss. Ich habe es immer wieder vergessen. Warum? Einen Brief schreibe ich nicht eben mal rasch, nur weil die Person mir einfällt. Und für den zusätzlichen Aufwand, für die Hinwendung, fehlt mir die Zeit, und ja, im Moment gerade vielleicht auch die Lust. Ist das schlimm?
Ja und Nein. Ehrlich ist es, wie immer, wenn man dabei niemandem in die Augen schauen muss. Aber auch traurig, weil das, was ich dann statt dessen tue, nicht zwangsläufig mehr Gehalt für mich hat und mich mehr ausfüllt.
Und doch gehen mir Menschen nur dann vergessen, wenn sie sich entfernen. Ihre Bilder in meinem Kopf werden schwächer, und wenn sie wieder auftauchen, schrecke ich irgendwann nicht mehr auf oder meine Seele regt sich nicht mehr. Ich lasse das Boot, in dem sie sitzen, abwärts gleiten...
Ähnlich kann ich vielleicht vergessen, was mich verletzt hat. Ich kann die Gedanken irgendwann in ein Boot setzen, zu diesen Menschen, und irgendwann auch in Gedanken nicht mehr dazu steigen, sondern es gleiten lassen. Wir fahren auf dem gleichen Strohm, es begegnet mir also immer wieder, aber ich bekomme einen eigenen Rhythmus, und irgendwann kann ich den Gedanken ihren Lauf lassen und das Erinnern wird erst nicht mehr zwanghaft, dann umkreist es mich nicht mehr, und schliesslich ist es ein Teil einer Geschichte, die zwar nicht schöner geworden ist, deren Traurigkeit aber ein Teil meiner Weisheit wird, während ich vorwärts schaue in meinem Boot und die Kraft fühle, die den Planken gleitende Schwerelosigkeit beschert... ich schliesse die Augen und lasse die Gedanken fliessen, weggleiten, gespannt, welche neuen mich erreichen werden, dort vorn, hinter der Kurve...

Krawall

Ist brutalisierter Protest. Aus einem Widerspruch wird Unflätigkeit, aus dem Opfer der Täter. Der Krawall ist der erste Gegner der Demokratie, subversiver Untergräber jeglicher Protestkultur.
Wer krawallt, wallt im Rausch der Gewalt, wird zum Tier oder zum Prügler, zum Demolierer und Randalierer.
Der Krawallmacher ist wie das Kind, das weiter Zoten reisst, obwohl es weiss, dass es ihm Strafe einträgt. Oder deshalb?
Wer krawallt, ist nie allein. Krawall bedingt Publikum, will eine Bühne, reklamiert das Hinsehen. Und gleichzeitig wird jeder Krawall von der Möglichkeit getragen, in einer anonymen Masse unter zu gehen.
Krawallmacher sind die Feinde des Protests und rechtfertigen, was sie verhauen: Die Staatsgewalt.
Wir Hingucker machen ebenfalls immer etwas falsch. Wir sollten am ersten Mai gar kein Fernsehen schauen. In diesem Theater sind wir nicht mal Zuschauer. An 364 Tagen im Jahr können wir dann die Energie darauf verwenden, den 1. Mai nach seinem Ursprung als Feiertag möglichst überflüssig zu machen - oder eben zum Familienfeiertag.

Krawall ist in einer Gemeinschaft absurd. In einer offenen Welt gibt es nichts einzuschlagen und umzustürzen. Was uns da umgibt, ist nicht hart als Grenze, sondern fest als Leitlinie, und es gibt Weniges, was wir nicht alle beidseits einer Linie begehen könnten. Wer Krawall macht, gibt zu, nichts Besseres zu tun haben. Er ist ein Verlierer und auch darin noch eine Niete.

Wer schlägt, ist blind, und taub, obwohl er schreit wie verrückt. Wer zerstört, hat keine Argumente, grenzt sich aus, muss zur Besinnung kommen. Aus dem Krawall wird ein Krawumm, eine Art Bumerang, und irgendwann vielleicht ein Krawarum - eine Frage an sich selbst.

Wir räumen derweil auf, und vielleicht fragen wir uns trotz allem, warum unsere Gesellschaft solche Ausgeburten hervor bringt - nicht an Menschen, sondern an Handlungen dieser Menschen. Soviel Frage nach dem Hintergrund ist dann aber nicht eine direkte Folge des Krawalls, sondern ein Trotzdem. Allein den Besonneren zuzuschreiben.
Vielleicht wäre und ist dies die grösste Niederlage der vermummten Horden...
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warum nicht mal etwas zynisch sein in dieser welt mit...
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Ich hab mich von dem Schock noch gar nicht erholt,...
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Ein richtig guter Text!
Ein richtig guter Text!
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