Donnerstag, 5. Juli 2012

Tumor

Diese verdammte Wucherung. Kein Wort ist so dunkel, so bedrohlich, wie dieses. Ich sehe sogleich Röhren vor mir, tunnelgrosse Kanonen, mit denen diagnostiziert, bestrahlt und geschossen wird, weggebrannt, personifizierte Wucht menschlicher Wut gegen alles Zerstörerische - mit ungewissem Ausgang.

Und irgendwo da drin der Mensch, herein geschubst in die Röhre der Angst, die ihn fortan umklammert hält. Vielleicht war er eben noch draussen spazieren, vor dem Arztermin, hat in die Sommersonne geblinzelt und sich auf die Ferien gefreut - und sich vorgenommen, für die zweite Jahreshälfte vieles anders zu machen, besser. Noch besser. Jetzt aber.

Ja, jetzt aber. Jetzt ist alles anders geworden, bevor man es anders machen konnte. Und wir, die wir den Menschen kennen lernten, wollen ihn nicht verlieren. Es darf nicht sein, soll nicht sein. Wir reden gut zu, jeder kennt jemanden, der therapieren kann, plötzlich gibt es für alles nur eine Adresse. Oder gar keine. Atemlos sind wir, weil uns die Luft abgeschnitten wird, und wir kommen ins Hetzen, fern aller wirklichen Gedanken. Wir müssen stark sein für den Betroffenen, müssen begleiten, positiv denken.

Klarsichtig wird dabei, wenn, dann nur einer: Der, bei dem der Tumor wohnt. Raumforderung. Ein medizinischer Ausdruck, der so absurd wie richtig klingt. Wenn man ihn zum ersten Mal hört, lacht er einen aus.

Tumore wachsen, schnell oder langsam. Wir schneiden sie raus, verbrennen, vergiften sie. Weg mit ihnen, im Wettlauf mit der Zeit, wobei wir, natürlich, nur unterstützen, was der Körper eh versucht. Es darf nicht sein, was uns irgendwann allen geschieht, egal, wie wir es benennen, welchen Namen und welches Programm das Sterben für uns haben wird. Krebspatienten sind krank, bevor sie es wissen. Sie sind nicht mit einem Schlag gesünder oder kränker, und doch ist alles anders.

Vielleicht braucht es unendlich Mut, zu kämpfen, vielleicht braucht es aber auch den Mut, inne zu halten. Wenn die Zeit um einen herum schon stehen bleibt, dann setzen wir uns eben mal hin. Und fragen: Wie geht es Dir?

Krankheit aushalten, die Krankheit des Liebsten, der Lieben, der Vertrauten, heisst, Fragen aushalten, sitzen bleiben ohne Antworten, die eigene und die Ohnmacht der Patienten ertragen. Wir müssen nicht glauben, wir wären nur mit einem Ratschlag hilfreich. Wir sind es auch mit unserer Angst. Einfach nicht flüchten vor dem Tumor. Denn er gehört nun zu dem lieben Menschen. Zumindest gerade jetzt.
Logo

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Für Ihre Post:

Selber Stichwortgeber(in) sein? Anregungen? Kritik? Mail an
kurt [at] thinkabout [.] ch

Letzte Kommentare

warum nicht mal etwas...
warum nicht mal etwas zynisch sein in dieser welt mit...
bonanzaMARGOT - 2016.03.26, 14:12
Schock
Ich hab mich von dem Schock noch gar nicht erholt,...
Josef Mühlbacher (Gast) - 2015.09.25, 18:52
Lob
Dankeschön. Das ist aber nett!
Thinkabout - 2014.08.08, 03:01
Ein richtig guter Text!
Ein richtig guter Text!
iGing (Gast) - 2014.08.07, 23:12

Status

Online seit 6243 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2016.03.26, 15:31

Credits


Allerhand Sachen
Gemeinschaft
Global
Göttliches
Mensch
Natur
Zum Blog(gen)
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren