Sonntag, 30. Juni 2013

Selbstbestimmung

In unser Gesellschaft ist das "Selbst" in aller Munde: Selbstverantwortung (gerne politisch gebraucht als Aufforderung an andere, den Steuerzahler nicht zu behelligen), Selbsterkenntnis, Selbstverwirklichung, sie vor allem, Selbstbestimmung.

Leben können in Freiheit und Selbstbestimmung - das wollen wir alle. Vorausgesetzt dabei ist, dass wir diese Freiheit auch füllen können - doch dies kommt hinterher, im Feldversuch, wenn wir dann zurück blicken und sehen, mit wie viel Müll wir unsere Zeit füllen, die wir doch ursprünglich mal "selbst" zur Verfügung hatten...

Die Selbstbestimmung reklamieren wir also gerne für unser Leben - und wir wünschen sie uns auch für den Tod. Wir haben alle Angst vor den Schläuchen und Maschinen, aber noch viel mehr Bammel vor dem Sterben, dem Tod. Wir sagen, der Tod macht uns keine Angst, aber die Schmerzen... Aber ob das stimmt?

Selbstbestimmt sterben können, entscheiden dürfen, wann genug ist, eine Behandlung verneinen können und darin verstanden werden - oder wenigstens respektiert. Das ist viel, und meist mehr, als das, was wir mit dem Programm der Selbstbestimmung eigentlich mit der Gesellschaft abgemacht haben. Zumindest die eigene Familie, Angehörige, nahe Personen, reagieren gerne unwirsch, unverständig, zurückweisend auf diesen Akt der Verweigerung, der bedeutet: Ich will gehen, und auch du hältst mich nicht hier. Wenn jemand Abschied nehmen will, und man ist selbst nicht bereit dazu, dann gilt ein letztes Mal, dass die Selbstbestimmung immer auch Ansprüche anderer zurückweist. Und nicht nur fremde Erwartungen, sondern auch solche aus dem eigenen engen Umkreis, der eben ein Kreis ist, den jetzt jemand durchbrechen will.

Das Selbst ist zu Anfang und Ende ein Ego, das allein seinen Weg gehen muss. Wenn es das will, und den Zeitpunkt bestimmt, ist es für andere immer zu früh. Oder es bricht erst jetzt auf, wie viel Leid zuvor schon war, das wir geflissentlich übersehen haben. Selbstbestimmung meint auch: Herr über die Wahrnehmung zu sein, was man selbst erleidet. Sich nicht sagen lassen, was genug, zuviel oder zuwenig ist.

Selbstbestimmt leben und sterben bedeutet, keinen Menschen zwischen sich und Gott zu lassen. So es ihn gibt, so wohnt er in diesem Selbst, und ein gläubiger Mensch ist vielleicht nie so souverän in seinem Selbstverständnis, wie in der Weise, in der er die Reise zu seinem Gott antritt - so es die medizinischen Umstände überhaupt erlauben - in einer Welt, die den Tod oft negiert und je länger je mehr schlicht als Niederlage begreift.
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