Montag, 9. April 2007

Klassenzimmer

Können Sie sich noch erinnern, als Sie erstmals Ihr Klassenzimmer betraten? Und wie anders dieses Zimmer auf sie wirkte, als Sie es das letzte Mal verliessen? Gibt es Räume, die mehr Geschichte atmen? Die stärker angefüllt sind von Hoffnungen und Träumen, Ängsten und Freuden?
Ein steriles neues Klassenzimmer ist irgendwie der hilflose Versuch, etwas Verfängliches und absolut gefangen Nehmendes harmlos aussehen zu lassen. Es macht Schwupps, und das Zimmer füllt sich mit Geschichten.
Der Lehrer, die Lehrerin bemüht sich nach Kräften, positive Lern-Anreize zu schaffen, die Synapsen sollen hüpfen in unseren Hirnen, oder so ähnlich. Assoziativ sollen wir spielerisch aufnehmen, was es zu lernen gibt - auch an Tagen, an denen nichts so attraktiv ist wie der Blick aus dem Fenster und der Film vor dem eigenen Auge, der von der bevorstehenden Fussballschlacht erzählt und von meinem Siegtor, das ich ganz bestimmt schiessen werde...
Und die Wände? Sie füllen sich mit unseren Werken, das Lernen wird dokumentiert, und das Nichtlernen auch, wie mir scheint. Im Alter, also dann, wenn ich glaube, schon erwachsen zu sein, vor allem aber die Erwachsenen nicht ausstehen kann, die so anders sind, wird das peinlich, mit den Arbeiten an der Wand. Und o Wunder, dann ist das auch vorbei.
Und können Sie sich an die Elterntage erinnern, oder die letzten Schultage, wenn die Zimmer vollgestopft sind und alles irgendwie zum Zirkus wird, und doch der Lehrer strahlt, wenn alles gut läuft. An diesem Tag ist er selbst ein wenig der Schüler, oder der Dompteur an seinem eigenen Examen, und dann wird dieses Zimmer für ihn ein bisschen das, was es für uns das ganze Jahr über ist.
Das Holz in den Bänken, es kann noch so glatt geschliffen sein, es sitzt sich blank mit der Zeit und erzählt Geschichten. Alles erzählt hier und flüstert und müffelt irgendwie lebendig vor sich hin, nicht tot zu kriegen, zum Schweigen zu bringen. Und wir hocken uns ein in den Bänken, und fügen neue Tintenkleckse hinzu, kritzeln heimlich Hyroglyphen, die wir selbst nicht verstehen. Einfach sich bemerkbar machen, irgendwie, ohne aufzufallen, den Druck abgeben, der im besten Fall einer des übervollen Herzens und des Spieltriebs ist. Das beste am Klassenzimmer aber bleibt der Blick aus dem Fenster und das Gefühl, idealer Weise, dass Sie sich doch irgendwie behaupten konnten, in diesem ersten grossen kleinen brutalen Biotop und Modell gesellschaftlichen Zusammenlebens.
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