Sonntag, 22. April 2007

Floskeln

sind Sätze, die wir wie Sprechautomaten sagen, genau so, wie wir sie schon so oft gehört haben. Vielleicht genau so automatisiert. Im Grunde sind sie die Missachtung jeder Chance zur Begegnung. Sie dokumentieren ein Desinteresse, aber bitte schön ohne ein Aufheben darum zu machen. Bleib mir im Grunde vom Leibe aber bleib mir gewogen, also merke es bitte nicht oder störe Dich zumindest nicht laut daran.
Floskeln sind tote Worthülsen, abgestossene Häute echter Information. Small Talk ohne Talk. Floskeln sind Bankrotterklärungen des menschlichen Umgangs. Wer sie spricht, glaubt sich vielleicht noch höflich, aber im Grunde ist er bereits Falschspieler. Das hat mit Freundlichkeit nichts zu tun, nicht mal mehr mit Höflichkeit. Die Floskel meidet das Fragezeichen. Sie meint immer den Punkt. Das Punktum. Ohne Brüskierung, aber endgültig, bitte schön. Da war zuvor im Grunde gar kein Anfang. Einfach nichts. Aber es musste darüber gesprochen werden.
Warum nur?
Es komme mir keiner mit Diplomatie. Damit hat das nichts zu tun. Eine Floskel ist auch nicht die Verfeinerung eines gesellschaftlich verträglichen oberflächlichen Umgangs. Es ist das davon Abgestorbene, das sich hartnäckig halten kann und damit noch trauriger wird.
Bis zum nächsten Mal also dann, möge dieses langmöglichst nicht eintreffen, auch wenn es unvermeidlich sein mag.
Hinter einer Floskel kann man gar hassen. Ohne dass man merkt, wie schäbig man sich selbst sieht dabei. Auch dafür kann man den anderen hassen, ohne dass er sich dagegen wehren oder etwas dafür könnte, wir haben ihn einfach so eingeteilt, er ist uns nichts wert, ärgert uns, nervt, wir mögen nicht mal wissen, warum, er arbeitet einfach auch "da", aber er nervt. Puntkum. Einen schönen Tag noch! und weg.
Das ist höflich? Vielleicht doch? Allenfalls seinem eigenen widersinnigen Unbehagen gegenüber. Mit was trage ich mich denn herum, den ganzen Tag, ausser mit mir selbst?

Chancengleichheit

Das Loblied auf die Chancengleichheit - es wird bei uns gern gesungen - vornehmlich von den Etablierten, also von der Spitze aus.
Jeder darf zur Schule, jeder kann studieren. Es gibt Stipendien. Du bist Deines Glückes Schmied. Diese Haltung und Anschauung erlaubt es, im gleichen Brustton zu sagen: Was ich erreicht habe, habe ich mir erarbeitet. Ich habe es verdient. Haben Sie schon einmal jemanden gehört, der nicht "harte Arbeit" als Prinzip seines Erfolgs genannt hat?
Meiner Meinung nach ist das immer auch eine Beleidigung. Der Gescheiterte nebenan ist also in jedem Fall im Vergleich dazu ein Tunichtgut.
Es gibt nicht wirklich Chancengleichheit. Es gibt nur mehr oder weniger Chancen für einigermassen gleichmässig verteilte Nützungspotentiale gesellschaftlicher und bildungsmässiger Angebote.
Es gibt den prügelnden und den liebenden Vater, es gibt den fleissigen und den faulen Schüler, die zufriedene und die unausgefüllte Mutter.
Wir jubeln dem Erfolgreichen zu, und würden, wäre er uns früher in seiner Vita begegnet, als er seine Schule abbrach oder das Studium schmiss, keinen Blick für ihn gehabt haben.
Wir urteilen und verurteilen anhand von Äusserlichkeiten. Wir tragen mit unseren Vorurteilen laufend zur ChancenUNgleichheit bei.
Wir rühmen unsere gesellschaftlichen und demokratischen Voraussetzungen, und tun wenig dafür, sie zu erhalten, geschweige denn, sie zu verbessern. Wir rühmen die Demokratie und wünschen uns gleichzeitig, der Staat würde sein Geld nicht nutzlos verschwenden. Und die Erfolgreichen, die die Gesellschaft der Chancengleichheit rühmen, wollen die Sozialprogramme kürzen und die Bildung privatisieren. Weil sie nicht effizient ist.
Die Effizienz aber ist das Ergebnis der Selektion und damit das Ende der Chancengleichheit. Jedes Rennen hat eine Ziellinie und definiert Verlierer. Gewinner wären nicht so attraktiv, wenn es Viele davon gäbe.
Und die Verlierer? Ermutigen wir sie zum nächsten Rennen? Sehen wir die immer neuen Chancen, oder fühlen wir uns allenfalls gar bedroht durch deren Unglück? Oder durch Konkurrenz, wer weiss, woher sie plötzlich kommt? Sind wir am Ende die Gefangenen unserer eigenen selektiven Wahrnehmung?
Haben wir wirklich die Bildung, dass wir die Neugier aller Menschen fördern wollen und uns daran erfreuen können, dass wir alle im Grunde gerne lernen? Können wir selbst einmal Zweiter werden?
Statt über die Steuern zu jammern, während wir uns das grössere Auto kaufen, könnten wir über die Blumenwiese laufen. Subversiv auf nackten Füssen eben, wie wir sie alle haben. Die Füsse, nicht die Blumenwiese.
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Ein richtig guter Text!
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