Sonntag, 15. April 2007

Sehen

Wie viele Worte haben wir für die Sinneswahrnehmungen unserer Augen? Meist benutzen wir sie ohne Nachdenken oder bewusste Selektion. Das eine mag mehr hochdeutsch sein als das andere, aber die möglichen Unterscheidungen gingen tiefer.
Sehen, blicken, schauen. Wir können lugen, gewissermassen gedehnt schauen, oder ist das dann ein gucken? Wie mit allen Sinnen können wir auch mit unseren Augen bewusst "arbeiten" oder zumindest auf Empfang stehen für das Wunderbare, was sie uns melden.
Wenn wir denken, sehen wir im Grunde nach innen. Eigentlich sehen wir immer, selbst das Nichs ist schwarz und damit nicht farblos. Wir denken in Bildern, lesen tun wir sowieso mit unseren eigenen Assoziationen. Wenn wir ein Buch lesen, dann denken wir usn vielleicht auch die Gerüche und die Töne, vor allem aber sehen wir die Welt, die wir uns vor-stellen vor unser inneres Auge.
Wir können bewusst hinsehen, unserer Phantasie auch etwas zutrauen, das grosse Denken während wir im Inneren sehen - und das Kleine beobachten, am Wegesrand, wirklich hinsehen, das Tempo heraus nehmen aus dem Wisch, mit dem wir den Kopf drehen und dabei über die Gegenstände huschen, ohne Halt, ohne Tiefe. Oder aber wir können Filmen, die Schnitte setzen, wie ein Regisseur, Standbilder einfügen, innehalten, bis sich die Knie wie von selbst beugen, weil wir etwas genauer wissen, sehen wollen.
Manchmal ist es ein ganz stilles Wunder, eine alltägliche Sensation, die unheimlich trösten kann: Wenn unser Sehen zum Beobachten wird und wir die Zeit anhalten, sie stehen lassen und sie erhalten bleibt, für ein genaueres Hinsehen.
Und im nächsten Moment gucken wir nach dem Flüchtigen, blicken uns um, geniessen wir die Leichtigkeit rauschender Farben, flüchtiger Lichtpunkte, tanzender Lichter auf welligen Wasserspiegeln. Auch dies kann sehen sein: Genuss ohne Gedanke, Sinnenfreude pur, Sehen mit geschlossenen Augen, der Wärme eine Farbe zuordnen und dem Wind ein Gesicht geben, der die Stirn kühlt...

Sommerkleidung

Jetzt kommt sie also wieder, die Zeit, in der wir nur das Notwendigste anhaben und Kleidung mehr Sonnenschutz denn irgend was anderes ist. Dabei wäre es so nett, sie wäre und bliebe auch ein Sichtschutz. Allzu oft blendet nämlich die Sonne viel zu wenig, als dass ich nicht bemerken könnte, wie selbstverständlich vor allem wir Männer unsere unvorteilhaftesten Seiten, von denen es dreiminsional so viel zu viele gibt, zur Schau tragen.
Es ist wirklich unglaublich, wie sehr sich die Werbung, so höre ich es auf jeden Fall immer wieder, nach dem Gusto von uns Dreibeinern ausrichtet und sich in der Folge die Königinnen der Schöpfung nach dem Gutdünken von uns herrichten, während wir in Schlabberbermudas und vierkantiger Sonnenbrille quadratisch praktisch gut in Strandsandeletten durch die Gegend schlurfen.
Niemals wird uns die Zivilisation unvorteilhafter bewusst als dann, wenn Mann zu schwitzen beginnt. Wahrscheinlich ist es uns selbst zumindest unterbewusst so peinlich, dass wir just auf der Spitze dieser Entwicklung meist in Urlaub fahren. In der Ferne ist es erträglicher, irgendwie, und weniger peinlich, so dass wir daselbst durchaus enthemmt unsere überflüssigen Pfunde vor uns her schieben können, ohne dass es dem Nachbar nicht gefallen würde.
Und auf den Fotos zu Hause erkennt man dann, dass es nett war im Urlaub, aber angesichts der Zustände halt doch nur ein Beweis, dass zu Hause alles besser ist. Und da ist die zu tief sitzende Bermuda-Hose und was auch immer sonst noch peinlich sein mag, nur eine Laune der Lässigkeit, angesichts der Tatsache, dass wir es doch eben besser machen als der Rest. Schliesslich fahren WIR so seit in Urlaub und nicht die anderen.

Also, wenn ich mich selbst nicht vor den Spiegel denke und mich ganz bescheiden in ein Café denke, so vor eine Flanierzeile in der Innenstadt, dann schaue ich gerne den Sommerkleidern zu. Denen, die sich um schlanke Hüften legen und um braune Waden wehen, die Trägerinnen geradezu dazu ermuntern, beschwingter zu gehen, und die Sonne scheint plötzlich so, dass ich sie auch wahrnehme. Und dann sehe ich ihn, diesen gut aussehenden jungen Mann, der zwanzig Kilo weniger hat als ich und auch so eine prahlerische Sonnenbrille, so dass ich gar nicht sehe, wie gut er aussieht, und doch weiss ich es. Und ich seufze ganz kurz, doch dann lächle ich. Denn was er erlebt, kenne ich doch, und es ist Erinnerung, die zur beständigen Liebe wurde, heute wie vor zwanzig Jahren, auf einer Steinbank, in der lauen Sommernacht, die es nur für uns gab, und wie ich Dich bewundert habe in Deinem Sommerrock, und wie schön es war, zu wissen, dass ich der glücklichste Mensch auf Erden bin.

Verbissenheit

Wenn Hartnäckigkeit sich in ein Projekt, ein Verhalten, eine Ausdauer verbeisst, wie ein Hund, der eine Beute nicht mehr frei gibt, wird aus der ursprünglich bewunderten Zielstrebigkeit die negativ empfundene Verbissenheit. Wer verbissen an etwas festhält, kann nicht mehr lächeln. Die Fokussierung ist längst zur Verkrampfung geworden. Der Tunnelblick visiert nicht an sondern schottet ab. Geht mir weg, ihr griesgrämigen missliebigen Kritiker, sagt der Sturkopf, der selbst nur einfach noch mürrisch ist.
Und doch gibt es sie, die Granitgrinde, die einfach nur stur im Kraftraum für das sportliche Comeback schuften und irgendwann allen die neuen Trophäen an den Kopf halten wollen, wild entschlossen, dann auch den Erfolg allein zu geniessen.
Wen wir verbissen nennen, dem unterstellen wir Einseitigkeit. Aber wir haben wohl auch ein Gespür dabei, wann etwas nicht mehr gut kommt mit einem Menschen, er sich uns entfremdet. Wenn nur Bewunderung für seine Willenskraft mich mit einem Menschen verbindet, kann ich ihm nicht wirklich nahe kommen. Wie jede Bewunderung, hebt auch diese jemanden von mir ab, weg, hoch. Hier kommt dazu, dass eine Form der Härte gegen sich selbst bewundert wird, die sich auch nach aussen richtet.
"Mir kann niemand was", sagt dieser Mensch, und sucht gleichzeitig die Bestätigung in einer Leistung, die genau diese Niemands am Ende dann doch anerkennen sollen.
Es ist nicht nur im Kraftraum einsam für gewisse Erfolgsmenschen, und die Schulterklopfer "danach" zu erkennen, mag zwar vor Enttäuschungen helfen, aber die Genugtuung, "es" geschafft zu haben, ist deutlich weniger wert als die Freude, auch einen Erfolg teilen zu können.
Wer daher im Gegensatz zum Verbissenen aufgibt, setzt vielleicht einfach Werte anders, hört auf seinen Körper oder ist nicht bereit, jeden Preis zu bezahlen.
Weichere Menschen sind weniger hart. Das zumindest ist wahr.
Lernen aber dürfen wir alle von einander, die Genügsamen auch von den Verbissenenen, die Hartnäckigen von den Flanierern, die Schleicher von den Zielstrebigen. Und alle von einander, wenn die einmal angedachte Ausrichtung nicht durchgehalten werden kann.
Lebensmodelle, Erfolgsstrategien - immer ist am Schluss das gütige Lächeln des realen Lebens die Quelle echter Befriedigung. Und damit auch Grund zur Demut.
Logo

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Für Ihre Post:

Selber Stichwortgeber(in) sein? Anregungen? Kritik? Mail an
kurt [at] thinkabout [.] ch

Letzte Kommentare

warum nicht mal etwas...
warum nicht mal etwas zynisch sein in dieser welt mit...
bonanzaMARGOT - 2016.03.26, 14:12
Schock
Ich hab mich von dem Schock noch gar nicht erholt,...
Josef Mühlbacher (Gast) - 2015.09.25, 18:52
Lob
Dankeschön. Das ist aber nett!
Thinkabout - 2014.08.08, 03:01
Ein richtig guter Text!
Ein richtig guter Text!
iGing (Gast) - 2014.08.07, 23:12

Status

Online seit 6240 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2016.03.26, 15:31

Credits


Allerhand Sachen
Gemeinschaft
Global
Göttliches
Mensch
Natur
Zum Blog(gen)
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren