Dienstag, 24. April 2007

Zwiespalt

Dieses Wort drückt die Qual des Zweifels perfekt aus. Wessen Leben ist schon immer so, dass er mit beiden Beinen fest auf einer Erdscholle steht? Ist uns nicht auch das Bild vertraut, dass wir auf blankem Eis stehen, und dieses genau zwischen unseren Beinen zu brechen beginnt? Auf welche Seite nun sollen wir uns begeben, wo wird das Eis tragen? Wir wissen nur eines: Es schmilzt, der Spalt wird breiter und wir beginnen einen Spagat... Entscheiden wir uns allerdings nicht, so werden wir irgendwann in diese Mitte durchbrechen. Im Leben mögen wir vom ersten bis zum letzten Tag gerne einmal zuviel abwägen, ob links oder rechts. Von Bergsteigern ist nicht bekannt, dass einer in einem solchen Spagat in einer Spalte versunken ist. Aber sehr wohl, dass er sich zu spät entschieden hat und falsch.
Im Zwiespalt stecken zu bleiben ist menschlich. Geforderte Entscheidungen offenbaren Einsamkeit, erfordern Konsequenz. Und Angst kann ein schlechter Ratgeber sein, uns zögern lassen, die Entscheidung meiden wollen. Sie kann uns vielleicht aber am Ende auch helfen und uns antreiben, eine Anstrengung zu wagen, die wir uns gar nicht zugetraut hätten.
Auf jeden Fall ist dieser Spalt, der hinter dem "Zwie" droht und lauert auch eine Versicherung: Wir können und dürfen entscheiden. Wir können es gar nicht allen Recht machen. Und die Entscheidung muss sich in jedem Fall an unserem eigenen Stand ausrichten: Wir sind auf der Scholle in jedem Fall allein, und auch neben uns fallen Entscheidungen nach diesen Gesetzen. Manchmal beziehen sie uns ein, dann schliessen sie uns vielleicht auch aus.
Im Zwiespalt sein, ist nicht gottgegeben. Es ist aber vielleicht eine Frage des Schicksals, die uns hilft, heraus zu finden, wo wir stehen und WO WIR STEHEN MÖCHTEN.
Der nächste Zwiespalt kann der erste sein, der uns mutig erlebt. Vielleicht dann, wenn uns der Verdacht kommt, dass sich die Risse zwischen unseren Füssen bei uns öfters bilden als bei anderen und es an der Zeit ist, die Entscheide früher zu treffen und mit der Überzeugung unseres Herzens, die schon immer da war, aber sich vielleicht gerade diesmal ganz anders zu zeigen vermag...
Die meisten Spalten, in die wir fallen, sind nicht tödlich. Und so lange wir das Wegstück neu begehen können, entscheidenn wir uns auch immer wieder neu. Aus dem Zwiespalt kann so eine gute Erfahrung werden, wir können Zutrauen gewinnen, wenn wir spüren, dass wir zwei Beine haben und sich aus festem Stand auch besser zurück schauen lässt. Und vor allem, voraus, um die nächste Spalte früher zu erkennen.
Es kann zudem sehr gut sein, dass ängstliche Zwiespältler gerade die Experten sind, die im entscheidenden Moment die wirklich grosse Spalte früh erkennen und sie darum rechtzeitig umgehen können. Um aber auch dann nach dem Über- und Durchgang zu suchen, übt es sich besser an den konkreten Zwei-Wegen des Alltags. Und das wird uns jeden Tag geboten: Als Möglichkeit und Chance, und nicht so sehr als Drohung.

Nähkästchen

Aus dem Nähkästchen plaudern - was für eine passende Redensart: Nähkästchen, die ich kenne, haben kleine Schubladen, versteckte Winkel, Fadenspulen, die zuhinterst in einer Ecke mit einem letzten Rest genau die richtige Farbe bieten oder auch nicht. In einem Nähkästchen kann man wühlen wie in einer Damenhandtasche. So viel Nade und Faden braucht der Mensch seiner Lebtage nicht, aber es ist beruhigend, es zu haben. Nie würde man eine Nadel mit dieser oder jener Öse fortschmeissen. Vielleicht kommt der Stoff, der genau nur mit dieser Nadel bezwungen werden kann, noch ins Haus?
Derweil fallen mir die Knöpfe von den Hemden wie die Äpfel von den Bäumen, und dann ist der Gang zum Nähkästchen sehr weit. Wenn es aber, wie jetzt, auf dem Tisch steht auf der Terrasse, und das Sonnenlicht langsam die ersten Spulen, die oben aufgesteckt sind, erreichen wird und die Garne zu leuchten beginnen, dann hat dieses Kästchen und vor allem all sein Nippes etwas Heimeliges, Kuscheliges, und das Holz, aus dem es gemacht ist, hat eine Struktur, natürlich hat es die, denn alles an diesem Kästchen muss und will mir was erzählen.
Es gibt Nähkästchen für 3.90, die Sie Dir im Versand nachschiessen oder zu ein paar Tulpenzwiebeln als Bonus mit schicken, als müssten sie die Dinger los werden. Aber diese Kästchen meine ich nicht. Sie haben ein bisschen Sternfaden oder nicht mal das, und zwei drei Nadeln, gut genug für die Not aber bestimmt nicht wirklich brauchbar. Nein, ich meine die älteren dieser Dinge, die Du vererbt kriegst oder selbst zumindest nicht so leicht hergeben würdest, da musst Du tatsächlich schon unter die Erde kommen und definitiv keine neuen Knöpfe mehr brauchen, und dann wird jemand anders die kleinen Schubladen öffnen und bestimmt noch einen Faden finden, von dem Du gar nicht mehr wusstest, was nicht schlimm ist, nebensächlich gar, aber doch irgendwie schön.
Wahrscheinlich sind da auch die Ersatzknöpfe nicht weit, dieses Sammelsurium für die Not, das bestimmt viele Vorschläge bereit hält aber oft nicht den richtigen Knopf, den genau passenden, der als einziger wieder mal fehlt. Dann wählst Du einen andern aus, der dafür wenigstens einen besonderen Glanz hat oder eine besondere Politur.
Ich werde auch wieder mal einen Faden einfädeln, ich verspreche es, denn arbeiten tun wir beide nicht so gerne mit dem Kästchen. Hergeben aber ist nicht!

Kirchgang

Alte Zeiten steigen in meiner Erinnerung auf. Konfirmandenzeit. Die Mischung zwischen Zwang und Beschaulichkeit am Sonntagmorgen. Aber auch eine Kirche, reformatorisch-kühl, am Sonntag meist gar nicht so schlecht gefüllt, und dann mit Leben gefüllt, das sich zwar vielleicht durch die farbigen Scheiben nach aussen dachte, aber immerhin, die Gedanken entstanden erst in diesem Raum, wo Menschen zusammen kamen. Und danach, das Verweilen vor der Kirche, über dem Rebberg, mit dem Blick über den See. So ohne war das gar nicht, nein, damals nicht und heute schon gar nicht.
Heute gehe ich spaziern, in den Wald, der meine Kirche ist. Aber der Kirchgang ist auch ein Akt der Gemeinschaft, ein Zusammenkommen, eine Zuflucht zu einem Ort, an dem die Gedanken ruhen können oder könnten.
Und Pfarrer durfte ich kennenlernen, immer wieder, die mir für immer eine Botschaft chrirstlicher, gottväterlicher Liebe schenkten. Meine Kirchgänge habe ich nie zu meinen Sünden gemacht, sondern hin zur verzeihenden und gütig fordernden Liebe meines wirklichen Vaters, der auch der Vater meines Vaters war. Zum Glück.
Zu Beerdigungen stellt man sich Regentage vor, und verhangenen Himmel. Zum Kirchgang gehört in meinem Erinnern die Kraft einer warmen, aber nicht brennenden Sonne, die einen blinzeln liess, hinein in das Fest eines freien Tages.
Die Freundlichkeit der Menschen an diesem Tag, nach dem Gottesdienst, war ein Kirchgang hin zur Geschwisterschaft von Menschen, die sich stumm und doch zusammen eine Stunde in einer Art Kontemplation versuchten: Was und wer bin ich und wie bin ich gemeint?
Und die Jugend war immer ein Teil der Gemeinde. Wir haben an der Konfirmation Rockmusik aufgeführt in der Kirche - von A bis Z ein selbst gestalteter Gottesdienst, eine volle Kirche und ein Gefühl, gehört zu werden. Und betrachtet. Wohlmeinend. Aus den Kirchenbänken, aber auch aus dem Dachgebälk der Kirche, von wo eine umarmende Fürsorglichkeit hinab strahlte, eine Wohlmeinung für mein Sein.
Ich werde meiner damaligen Kirchgemeinde stets dankbar sein für das, was sie mich über meine fürsorgende Liebesfähigkeit lehrte.
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warum nicht mal etwas zynisch sein in dieser welt mit...
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Schock
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Ein richtig guter Text!
Ein richtig guter Text!
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