Mensch
Vergessen gehen. Aus dem Gedächtnis fallen. Nicht erinnert werden. Wir vergessen, was noch zu tun gewesen wäre. Wir fallen anderen ins Wort, weil wir sonst Angst haben, zu vergessen, was unbedingt noch gesagt werden muss....
Wir leben alle in dieser unserer heutigen Welt, in der es eine Phrase bleibt, wenn wir sagen: Wenn's wichtig genug ist, wird es Dir wieder einfallen. Nein! Wie soll ich darauf vertrauen?! Abgesehen davon werde ich älter, habe Stress und darum schlicht einfach keine Zeit, die Margarine später extra kaufen zu gehen, wenn ich sie jetzt vergesse.
Wieviele Menschen habe ich vergessen? Wem wollte ich jetzt noch schreiben? Schon lange. Ich weiss. Ich habe es immer wieder vergessen. Warum? Einen Brief schreibe ich nicht eben mal rasch, nur weil die Person mir einfällt. Und für den zusätzlichen Aufwand, für die Hinwendung, fehlt mir die Zeit, und ja, im Moment gerade vielleicht auch die Lust. Ist das schlimm?
Ja und Nein. Ehrlich ist es, wie immer, wenn man dabei niemandem in die Augen schauen muss. Aber auch traurig, weil das, was ich dann statt dessen tue, nicht zwangsläufig mehr Gehalt für mich hat und mich mehr ausfüllt.
Und doch gehen mir Menschen nur dann vergessen, wenn sie sich entfernen. Ihre Bilder in meinem Kopf werden schwächer, und wenn sie wieder auftauchen, schrecke ich irgendwann nicht mehr auf oder meine Seele regt sich nicht mehr. Ich lasse das Boot, in dem sie sitzen, abwärts gleiten...
Ähnlich kann ich vielleicht vergessen, was mich verletzt hat. Ich kann die Gedanken irgendwann in ein Boot setzen, zu diesen Menschen, und irgendwann auch in Gedanken nicht mehr dazu steigen, sondern es gleiten lassen. Wir fahren auf dem gleichen Strohm, es begegnet mir also immer wieder, aber ich bekomme einen eigenen Rhythmus, und irgendwann kann ich den Gedanken ihren Lauf lassen und das Erinnern wird erst nicht mehr zwanghaft, dann umkreist es mich nicht mehr, und schliesslich ist es ein Teil einer Geschichte, die zwar nicht schöner geworden ist, deren Traurigkeit aber ein Teil meiner Weisheit wird, während ich vorwärts schaue in meinem Boot und die Kraft fühle, die den Planken gleitende Schwerelosigkeit beschert... ich schliesse die Augen und lasse die Gedanken fliessen, weggleiten, gespannt, welche neuen mich erreichen werden, dort vorn, hinter der Kurve...
Thinkabout - 2007.05.02, 20:04
Ist brutalisierter Protest. Aus einem Widerspruch wird Unflätigkeit, aus dem Opfer der Täter. Der Krawall ist der erste Gegner der Demokratie, subversiver Untergräber jeglicher Protestkultur.
Wer krawallt, wallt im Rausch der Gewalt, wird zum Tier oder zum Prügler, zum Demolierer und Randalierer.
Der Krawallmacher ist wie das Kind, das weiter Zoten reisst, obwohl es weiss, dass es ihm Strafe einträgt. Oder deshalb?
Wer krawallt, ist nie allein. Krawall bedingt Publikum, will eine Bühne, reklamiert das Hinsehen. Und gleichzeitig wird jeder Krawall von der Möglichkeit getragen, in einer anonymen Masse unter zu gehen.
Krawallmacher sind die Feinde des Protests und rechtfertigen, was sie verhauen: Die Staatsgewalt.
Wir Hingucker machen ebenfalls immer etwas falsch. Wir sollten am ersten Mai gar kein Fernsehen schauen. In diesem Theater sind wir nicht mal Zuschauer. An 364 Tagen im Jahr können wir dann die Energie darauf verwenden, den 1. Mai nach seinem Ursprung als Feiertag möglichst überflüssig zu machen - oder eben zum Familienfeiertag.
Krawall ist in einer Gemeinschaft absurd. In einer offenen Welt gibt es nichts einzuschlagen und umzustürzen. Was uns da umgibt, ist nicht hart als Grenze, sondern fest als Leitlinie, und es gibt Weniges, was wir nicht alle beidseits einer Linie begehen könnten. Wer Krawall macht, gibt zu, nichts Besseres zu tun haben. Er ist ein Verlierer und auch darin noch eine Niete.
Wer schlägt, ist blind, und taub, obwohl er schreit wie verrückt. Wer zerstört, hat keine Argumente, grenzt sich aus, muss zur Besinnung kommen. Aus dem Krawall wird ein Krawumm, eine Art Bumerang, und irgendwann vielleicht ein Krawarum - eine Frage an sich selbst.
Wir räumen derweil auf, und vielleicht fragen wir uns trotz allem, warum unsere Gesellschaft solche Ausgeburten hervor bringt - nicht an Menschen, sondern an Handlungen dieser Menschen. Soviel Frage nach dem Hintergrund ist dann aber nicht eine direkte Folge des Krawalls, sondern ein Trotzdem. Allein den Besonneren zuzuschreiben.
Vielleicht wäre und ist dies die grösste Niederlage der vermummten Horden...
Thinkabout - 2007.05.02, 18:19
Diesen Kater kennt jeder. Warum eigentlich haben unverarbeitete Anstrengungen körperlicher wie flaschengeistlicher Art männliche Synonyme? Es heisst nicht Muskelkatze und man ist am Morgen nach dem Fest nicht verkatzt. Der Abend war eventuell für die Katz, aber nachwirken tut der Kater...
Aber immerhin ist der Muskelkater ein schönes Bild für eine bestimmte Strategie der Erholung und Verarbeitung (zu grosser?) Anstrengungen:
Die Lösung heisst nicht, sich nun flach zu legen. Nein, es gilt, genau das zu tun, was schon weh getan hat. Nach dem Wandern ist vor dem Wandern, und darum heisst es, die Beine bewegen, auch wenn es schmerzt, und eventuell nicht nur beim Treppensteigen.
Nur tun wir es jetzt, im Muskelkater, mit Bedacht, und die Muskeln, von denen wir normalerweise nicht wissen, dass wir sie haben, werden dabei wie von Nadeln gestochen.
Vielleicht wäre es das nächste Mal ja auch eine gute Idee, nach der Anstrenung direkt ein bisschen locker auszulaufen?
Aber eben, wir nehmen uns einfach nicht die Zeit. Nicht fürs Einlaufenund nicht fürs Auslaufen.
Wir gehen mit unseren Ressourcen nicht sorgfältig um, und im Grunde ist der Muskelkater ein sehr gütiger Lehrmeister, der uns lehren will, das zu ändern. Denn er setzt ein, bevor etwas gerissen oder wenigstens gezerrt ist.
Er hat nur eine Gefahr: Dadurch, dass er weh tut, verkrampfen wir uns und bewegen uns unnatürlich. DA müssen wir durch und genau dem nicht ausweichen.
Ein wenig wie beim Beziehungskater, wenn ein Gespräch einfach sein muss. Oder wenn zum Üben einfach das Scheitern, das immer wieder Erfahren der Grenzen gehört.
So, wie wir unseren Körper verstrecken und verzerren könnnen, so ist auch nicht jede Strapaze in unserem Kopf sinnvoll. Wenn wir uns über ein Problem den Kopf zermartern, kriegen wir vielleicht Kopfweh, oder Schlaflosigkeit. Also immer schön schauen, dass geistige und seelische Muskelkater-Beschwerden nicht chronisch werden... Das Stechen in ALLEN Nervenbahnen muss nämlich nicht anhalten...
Thinkabout - 2007.04.29, 19:56
Früher habe ich mich immer über die Holländer gewundert. Dass sie die Vorhänge nicht zuziehen, oder besser, oft gar keine haben, schien mir immer exotisch - und war vielleicht, absolut formuliert, genau so falsch wie jedes andere Cliché. Da hat man also ein Fenster, um Durchblick zu haben und Licht - und dann hängt man Stoff davor, damit eben genau diese beiden Dinge fehlen oder zumindest eingeschränkt werden.
Ich sehe Dich, aber Du mich nicht. Bei Vorhängen funktioniert das gewollt, bei Glas und seinen Spiegelungen oft umgekehrt. Heute mag ich keine Vorhänge mehr. Ich lasse mir in die Wohnung schauen. Wenn ich sie dann ziehen will, die Vorhänge, dann ziehe ich mich bewusst zurück, für mich und und andere da sein wollend, und nur für die. Ein Vorhang ist aber auch eine Couverture für etwas Besonderes. Er öffnet den Blick auf eine Bühne. Vorhänge können alos auch aufgehen. Den Blick frei geben. Sie können fallen, ein Ende ankündigen. Sie können glänzen wie Samt oder schimmern wie Chiffon, können durchsichtig sein und doch nicht, wie ein Brautschleier.
Vorhänge geben vielleicht so einen Zauber zurück, den wir längst verloren haben, da wir gewohnt sind, alles an die Oberfläche zu zerren.
Wir ziehen uns aus, hängen uns vor die Vorhänge, gerade im Internet.
Scheinbare Anonymität ist nicht wirklich eine solche: In allem tun und lassen bieten wir immer ein Abbild, eine Szene, vor die wir keine Vorhänge ziehen könnnen, die verhindern könnten, dass wir uns selbst im Grunde sehr genau erkennen können. Und kein Vorhang ist so dicht, dass dahinter nicht unsere Antriebe erkennbar wären. Ein Windhauch, und plötzlich hebt sich ein Saum, weil wir ein Fenster offen liessen.
Vielleicht zerrt ihn jemand weg, den Vorhang, überrumpelt uns, reisst ihn nieder. Nicht gut, nicht schön und eine Verletzung, die nicht rückgängig zu machen ist. Da kannst Du ihn danach so lange Du willst, wieder aufhängen, den Vorhang. Er verdeckt nichts mehr, wirkt nur noch lächerlich.
Darum ist der wichtigste Vorhang wohl der, der uns in unserem Innersten vor Nebensächlichkeiten bewahrt, vor Verzettelung, wenn wir mal auf der Bühne der eigenen Seele stehen. Es gibt Vorhänge, hinter die wir selbst blicken können, und wo nur noch das Auge unseres Schöpfers mit uns sieht. Vielelicht zeigt er uns sogar die versteckten Vorhänge und hält uns fest, wenn wir Angst haben, mit uns selbst allein auf der Bühne zu stehen - oder im versteckten dunklen Raum.
Thinkabout - 2007.04.27, 16:38
Als Junge hat man ihn, und er spurt die männliche Pseudo-Affinität zur hausmütterlichen Kochbereitschaft vor, die da heisst: Ehre Deiner Frau Arbeit und greif zumindest Sonntags zur Abwaschbürste. Oder zumindest zum Leinentuch zum Abtrocknen. Denn mit Geschirrspüler war da noch nichts, und auch heute sollte Mann nicht behaupten, dass es überhaupt keines Trockenreibungseinsatzes in der Küche bedarf, will er sich nicht als kompletter Chauvi und Dilettant outen.
Aber Küchendienst ist mir längst nicht mehr unlieb, habe ich doch eine Frau, die eine Zauberin zwischen und in den Kochtöpfen ist, und ich habe das Zudienen als Küchengehilfe richtig lieben gelernt. In der Zubereitung einer gemeinsamen Freude, dem Essen eben, sich zusammen finden, den Alltag sprich Werktag dabei abschütteln, den Tag besprechen und erzählen und dann den Feierabend einläuten, was gibt es Schöneres, als dies im Duft eines entstehenden Festmahls zu tun und Hand in Hand zu erleben, wie gemeinsame und geteilte Arbeit zu einer gemeinsamen Freude wird?
Selten haben wir für eine grosse Blase gekocht. Mit einer Ausnahme: Das Dorffest in der Turnhalle mit Mah-Meh für 200 Personen...
Rühren in Bottichen so gross wie Badewannen...
Aber ich habe sie immer bewundert und geliebt, die Köche in den Ferienlagern, die mit ihrer Crew selbstlos und still die einzelnen Skitage mit einem feinen Essen noch abgerundet haben. Auch als Knirps habe ich es fertig gebracht, in die Küche zu huschen, wenigstens einmal in der Ferienwoche, und dort kund zu tun:
"Tanke viil mahl, isch suuper fein gsii."
Und manchmal denke ich: So einmal für eine grosse Blase eine Woche lang oder so die Kochtöpfe schruppen oder die Karotten und Kartoffeln schälen - für mehr reicht mein Können nicht - das wäre eine Form der Danksagung, die mir sogar noch Befriedigung verschaffen würde.
Kinder können mit Ihrer selbstvergessenen Hingabe an Spiel und Sport Dich so viel lehren. Wem geht nicht das Herz auf, wenn er sich an diese Momente zurück erinnert, als er selbst nur einfach Kind war?
Wir sind "die besseren Erwachsenen", wenn wir uns an solche Dinge erinnern. Da bin ich ganz sicher.
Thinkabout - 2007.04.26, 23:09
Gibt es ein Stichwort, das mir bisher ferner lag? Ich finde, das gibt es gar nicht, bzw. es wird damit etwas ausgesagt, was gar nicht gemeint ist. Wer der Mode aufsitzt, glaubt, dass er, richtet er sich nicht nach ihr, keinen Stil besitzt. Dabei bedeutet es nur, dass er nicht einem Trend, dem Trend folgt.
Was lässt uns nach der Mode fragen? Modebewusstsein bedeutet doch, mit der gebotenen Unruhe nach dem zu fragen, was angesagt ist, wie es so schön heisst. Wir leben also gemäss Ansage - und zwar durchwegs technoider oder sonstwie künstlerischer Phantasiegestalten, die uns höchstens übers Fernsehen näher kommen.
Verzeihung, mir geht das wirklich ab. Ich kann zwar auch nichts mit jenen anfangen, die überall und jederzeit in Jeans und T-Shirt auftauchen, obwohl ich selbst sicher 80% meiner Zeit entsprechend "uniformiert" bin.
Wichtig scheint mir einzig, wie ich mich in meiner Kleidung fühle. Ob es mir wohl ist und wie ich mich folglich bewege und welche Haltung ich einnehme. Und gleichzeitig kann man mich fragen, warum das denn eine Rolle spielt für mein Gebaren, meine Fetzen Stoff?
Tatsächlich: Sie richten sich vielleicht nicht nach der Mode, aber sie haben auch Bilder im Kopf, wie die Dinge zu sein haben, damit Sie sich wohl fühlen.
Einen Dresscode zu verletzen, macht einen aussätzig oder unabhängig, je nach gesellschaftlicher Wasserverdrängung. Also in aller Regel aussätzig.
Herrschaft, wie viel Zeit wir damit verbringen, dazu zu gehören, nicht wahr? Und welche Summen wir dafür ausgeben. Man stelle sich unsere Wirtschaft ohne Trends und Mode vor... Wir müssten SOFORT damit beginnen, in die Forschung nach ökologischen Produkten zu investieren und die entsprechenden Bedürfnisse zu schaffen. Denn irgendwo mus die Überproduktivität jenseits echter Bedürfnisse ja hin, und wäre das nicht wirklich ein echtes Bedürfnis, die Idee käme auch nicht so subversiv daher...
Eine Mode-Gesellschaft, die einem Gnom wie Karl Lagerfeld eine Bühne und mehr als nur ein Auskommen bietet, ihn also nicht nur aushält sondern aushaltet, sprich hofiert, ist wirklich verloren...
Thinkabout - 2007.04.25, 15:29
Nähe, theoretisch. Aus meinem Blut, von meinem Blut. Wie komisch, jemanden neben sich zu wissen, der gleicher Herkunft ist, so ähnlich aussieht, und so grundverschieden ist. Wie faszinierend auch, wie unterschiedlich die Strategien sein können, die man mit gleicher Erziehung fürs Leben entwickelt.
Brüder müssen sich nicht grün sein. Sie können sich sehr fremd bleiben oder sehr eng zusammen stehen. Und in beiden Fällen müssen sie das sie Verbindende oder Trennende nicht unbedingt richtig einschätzen.
Geschwister sind wie Eltern Beziehungspole, an denen wir uns reiben und von denen wir uns auch abgrenzen wollen. Da ist eine Nähe, die auch gerne reklamiert wird, obwohl wir - eben - so verschieden sein mögen.
Manchmal denke ich, dass unsere Seelen wirklich woanders herkommen und in einer Familie zusammen finden, dass sie ein Alter und Erfahrungen haben, die weit über einen gemeinsamen Mutterleib und ähnliche Erwartungen in der Erziehung hinaus gehen.
Und umgekehrt ist eine Geschwisterliebe, die jenseits aller Hormone feste Anker kennt, etwas unheimlich Stärkendes. Einen Freund wie einen Bruder lieben zu können, heisst, seiner Seele einen kameradschaftlichen Platz im eigenen Herzen zu gönnen, ihn bei sich einziehen zu lassen, weil man Verwandtschaft anerkennt, ausgekundschaftet, erfahren im fürsorglichen Miteinander, im Begründen einer Freundschaft ohne Zwänge und Vorgaben.
Und wenn da plötzlich eine Krise ist? Dem leiblichen Bruder geht es schlecht, er ist in Not. Wie wunderlich, was in mir und mit mir geschieht: Ich beziehe Position, bin Partei und stütze diesen Fremden in meinem Leben, der eben doch mein Bruder ist. Ohne Frage nach seiner Schuld. Einfach so. Es ist wirklich ein seltsames Band, das wir Familie nennen.
Wahrscheinlich reden Brüder, gerade, wenn sie ein paar Jahre auseinander sind, noch weniger miteinander als andere Männer. Vielleicht verlieren sie die Bindung nur deshalb nicht, weil sie zumindest vermuten können, dass der andere ähnliche Erfahrungen kennt - und jemand anders ist nicht da, der - theoretisch - mit dem gleichen Wissen mich selbst verstehen könnte...
Thinkabout - 2007.04.25, 09:52
Dieses Wort drückt die Qual des Zweifels perfekt aus. Wessen Leben ist schon immer so, dass er mit beiden Beinen fest auf einer Erdscholle steht? Ist uns nicht auch das Bild vertraut, dass wir auf blankem Eis stehen, und dieses genau zwischen unseren Beinen zu brechen beginnt? Auf welche Seite nun sollen wir uns begeben, wo wird das Eis tragen? Wir wissen nur eines: Es schmilzt, der Spalt wird breiter und wir beginnen einen Spagat... Entscheiden wir uns allerdings nicht, so werden wir irgendwann in diese Mitte durchbrechen. Im Leben mögen wir vom ersten bis zum letzten Tag gerne einmal zuviel abwägen, ob links oder rechts. Von Bergsteigern ist nicht bekannt, dass einer in einem solchen Spagat in einer Spalte versunken ist. Aber sehr wohl, dass er sich zu spät entschieden hat und falsch.
Im Zwiespalt stecken zu bleiben ist menschlich. Geforderte Entscheidungen offenbaren Einsamkeit, erfordern Konsequenz. Und Angst kann ein schlechter Ratgeber sein, uns zögern lassen, die Entscheidung meiden wollen. Sie kann uns vielleicht aber am Ende auch helfen und uns antreiben, eine Anstrengung zu wagen, die wir uns gar nicht zugetraut hätten.
Auf jeden Fall ist dieser Spalt, der hinter dem "Zwie" droht und lauert auch eine Versicherung: Wir können und dürfen entscheiden. Wir können es gar nicht allen Recht machen. Und die Entscheidung muss sich in jedem Fall an unserem eigenen Stand ausrichten: Wir sind auf der Scholle in jedem Fall allein, und auch neben uns fallen Entscheidungen nach diesen Gesetzen. Manchmal beziehen sie uns ein, dann schliessen sie uns vielleicht auch aus.
Im Zwiespalt sein, ist nicht gottgegeben. Es ist aber vielleicht eine Frage des Schicksals, die uns hilft, heraus zu finden, wo wir stehen und WO WIR STEHEN MÖCHTEN.
Der nächste Zwiespalt kann der erste sein, der uns mutig erlebt. Vielleicht dann, wenn uns der Verdacht kommt, dass sich die Risse zwischen unseren Füssen bei uns öfters bilden als bei anderen und es an der Zeit ist, die Entscheide früher zu treffen und mit der Überzeugung unseres Herzens, die schon immer da war, aber sich vielleicht gerade diesmal ganz anders zu zeigen vermag...
Die meisten Spalten, in die wir fallen, sind nicht tödlich. Und so lange wir das Wegstück neu begehen können, entscheidenn wir uns auch immer wieder neu. Aus dem Zwiespalt kann so eine gute Erfahrung werden, wir können Zutrauen gewinnen, wenn wir spüren, dass wir zwei Beine haben und sich aus festem Stand auch besser zurück schauen lässt. Und vor allem, voraus, um die nächste Spalte früher zu erkennen.
Es kann zudem sehr gut sein, dass ängstliche Zwiespältler gerade die Experten sind, die im entscheidenden Moment die wirklich grosse Spalte früh erkennen und sie darum rechtzeitig umgehen können. Um aber auch dann nach dem Über- und Durchgang zu suchen, übt es sich besser an den konkreten Zwei-Wegen des Alltags. Und das wird uns jeden Tag geboten: Als Möglichkeit und Chance, und nicht so sehr als Drohung.
Thinkabout - 2007.04.24, 23:27
Wenn "alles relativ ist", wie ich manchmal höre oder selbst sage, dann ist Vorsicht geboten! Da ist sie wieder, die Beliebigkeit. Wenn alles so und so bedacht werden kann, gibt es keine Konsequenz, kein Handeln, das dem Denken folgt, denn der Status Quo ist wenigstend die bekannte Relativität.
In Relation zu anderem steht nun aber so ziemlich alles, was wir wahrnehmen, schaffen, benutzen, entscheiden oder eben nicht entscheiden.
Ich leide darunter, dass mein Schreiben verpufft in die weite des binären Universums? Das ist relativ. Was heisst schon verpuffen - und wie will ich das wissen? Nur weil ich die weiteren Relationen, die äusseren oder vielleicht tieferen Beziehungsgeflechte, in denen Ausgesprochenes oder Hingeschriebenes steht, nicht erkenne? Genau so, wie es die einengenen Relationen gibt, ist aber auch das Leid gebunden, eingegrenzt, fassbar: Es dominiert vielleicht meine Wahrnehmung, aber es zwingt mich auch auf mich und in mich zurück. Ich kann vielleicht nichts anderes mehr als ausharren versuchen, erdulden, durchstieren, bewusstlos werden. Ich bin vielleicht gefangen in dieser Wahrnehmung. Aber sie ist relativ. Sie hat ein Ende. Das Unvorstellbare geht in den Tod über, der das Unvorstellbarste ist, was wir denken können, und doch ist er nur der Anfang anderer Relationen.
Wenn Relativierung bedeutet, dass wir uns in unserer Bedeutung als Teil eines Ganzen verstehen, so wird aus der einebnend defensiv formulierten Vorsicht eine Verantwortung und ein Trost: Was ich tue und denke, bewirkt vielleicht nicht viel. Aber es ist nicht gleichgültig. Denn es HAT in jedem Fall eine Wirkung. Also habe ich mich selbst danach zu fragen, was und wie ich wirken soll? Und mein Bauch, der mir viel mehr eingibt, als ich wahrhaben will, wird schon reagieren, wenn ich dem nicht nachlebe. Hoffentlich eher früher denn später. Denn meine wichtiste Relation ist diejenige zwischen "meinem" Körper, Geist und "meiner" Seele. Mag dieses mein Verständnis noch so relativ sein...
Thinkabout - 2007.04.23, 15:53
sind Sätze, die wir wie Sprechautomaten sagen, genau so, wie wir sie schon so oft gehört haben. Vielleicht genau so automatisiert. Im Grunde sind sie die Missachtung jeder Chance zur Begegnung. Sie dokumentieren ein Desinteresse, aber bitte schön ohne ein Aufheben darum zu machen. Bleib mir im Grunde vom Leibe aber bleib mir gewogen, also merke es bitte nicht oder störe Dich zumindest nicht laut daran.
Floskeln sind tote Worthülsen, abgestossene Häute echter Information. Small Talk ohne Talk. Floskeln sind Bankrotterklärungen des menschlichen Umgangs. Wer sie spricht, glaubt sich vielleicht noch höflich, aber im Grunde ist er bereits Falschspieler. Das hat mit Freundlichkeit nichts zu tun, nicht mal mehr mit Höflichkeit. Die Floskel meidet das Fragezeichen. Sie meint immer den Punkt. Das Punktum. Ohne Brüskierung, aber endgültig, bitte schön. Da war zuvor im Grunde gar kein Anfang. Einfach nichts. Aber es musste darüber gesprochen werden.
Warum nur?
Es komme mir keiner mit Diplomatie. Damit hat das nichts zu tun. Eine Floskel ist auch nicht die Verfeinerung eines gesellschaftlich verträglichen oberflächlichen Umgangs. Es ist das davon Abgestorbene, das sich hartnäckig halten kann und damit noch trauriger wird.
Bis zum nächsten Mal also dann, möge dieses langmöglichst nicht eintreffen, auch wenn es unvermeidlich sein mag.
Hinter einer Floskel kann man gar hassen. Ohne dass man merkt, wie schäbig man sich selbst sieht dabei. Auch dafür kann man den anderen hassen, ohne dass er sich dagegen wehren oder etwas dafür könnte, wir haben ihn einfach so eingeteilt, er ist uns nichts wert, ärgert uns, nervt, wir mögen nicht mal wissen, warum, er arbeitet einfach auch "da", aber er nervt. Puntkum. Einen schönen Tag noch! und weg.
Das ist höflich? Vielleicht doch? Allenfalls seinem eigenen widersinnigen Unbehagen gegenüber. Mit was trage ich mich denn herum, den ganzen Tag, ausser mit mir selbst?
Thinkabout - 2007.04.22, 13:30