Mensch
Das Loblied auf die Chancengleichheit - es wird bei uns gern gesungen - vornehmlich von den Etablierten, also von der Spitze aus.
Jeder darf zur Schule, jeder kann studieren. Es gibt Stipendien. Du bist Deines Glückes Schmied. Diese Haltung und Anschauung erlaubt es, im gleichen Brustton zu sagen: Was ich erreicht habe, habe ich mir erarbeitet. Ich habe es verdient. Haben Sie schon einmal jemanden gehört, der nicht "harte Arbeit" als Prinzip seines Erfolgs genannt hat?
Meiner Meinung nach ist das immer auch eine Beleidigung. Der Gescheiterte nebenan ist also in jedem Fall im Vergleich dazu ein Tunichtgut.
Es gibt nicht wirklich Chancengleichheit. Es gibt nur mehr oder weniger Chancen für einigermassen gleichmässig verteilte Nützungspotentiale gesellschaftlicher und bildungsmässiger Angebote.
Es gibt den prügelnden und den liebenden Vater, es gibt den fleissigen und den faulen Schüler, die zufriedene und die unausgefüllte Mutter.
Wir jubeln dem Erfolgreichen zu, und würden, wäre er uns früher in seiner Vita begegnet, als er seine Schule abbrach oder das Studium schmiss, keinen Blick für ihn gehabt haben.
Wir urteilen und verurteilen anhand von Äusserlichkeiten. Wir tragen mit unseren Vorurteilen laufend zur ChancenUNgleichheit bei.
Wir rühmen unsere gesellschaftlichen und demokratischen Voraussetzungen, und tun wenig dafür, sie zu erhalten, geschweige denn, sie zu verbessern. Wir rühmen die Demokratie und wünschen uns gleichzeitig, der Staat würde sein Geld nicht nutzlos verschwenden. Und die Erfolgreichen, die die Gesellschaft der Chancengleichheit rühmen, wollen die Sozialprogramme kürzen und die Bildung privatisieren. Weil sie nicht effizient ist.
Die Effizienz aber ist das Ergebnis der Selektion und damit das Ende der Chancengleichheit. Jedes Rennen hat eine Ziellinie und definiert Verlierer. Gewinner wären nicht so attraktiv, wenn es Viele davon gäbe.
Und die Verlierer? Ermutigen wir sie zum nächsten Rennen? Sehen wir die immer neuen Chancen, oder fühlen wir uns allenfalls gar bedroht durch deren Unglück? Oder durch Konkurrenz, wer weiss, woher sie plötzlich kommt? Sind wir am Ende die Gefangenen unserer eigenen selektiven Wahrnehmung?
Haben wir wirklich die Bildung, dass wir die Neugier aller Menschen fördern wollen und uns daran erfreuen können, dass wir alle im Grunde gerne lernen? Können wir selbst einmal Zweiter werden?
Statt über die Steuern zu jammern, während wir uns das grössere Auto kaufen, könnten wir über die Blumenwiese laufen. Subversiv auf nackten Füssen eben, wie wir sie alle haben. Die Füsse, nicht die Blumenwiese.
Thinkabout - 2007.04.22, 12:56
Ist nicht das Gleiche wie Gewohnheit. Mindestens verstehe ich das anders. Eine Gewohnheit kann werden, was zuvor noch was Spezielles war, oder eine lieb gewordene Gewohnheit kann aus etwas zuvor Unscheinbarem wachsen. Die Gewöhnung suggeriert mir eher die Annäherung an etwas Unangenehmes. Etwas widersteht mir, treibt mich um, beschäftigt mich, bindet immer wieder meine Gedanken.
Manchmal muss ich mich an etwas Bestehendes, an einen Zustand gewöhnen, erst lernen, ihm in die Augen zu schauen, auszuhalten, dass es die Situation gibt, bevor ich mich dagegen oder dafür positionieren kann.
Man kann sich auch an ein Gift gewöhnen. Wenn ich es nicht schaffe, aus der Annäherung an etwas, das mich umtreibt, bindet, fasziniert, bedrängt, einschränkt, lockt, mit einem freien Geist Abgrenzungen zu ziehen, so wird alles Enthusiastische, Besondere, Schöne, jedes Geschenk des Augenblicks irgendwann gewöhnlich.
Es gibt nichts in unserem Leben, das wir aber auch nicht aushalten könnten. Viel länger als wir es dachten. Die Gewöhnung aber ist, bleibt sie uns schwesterlich verbunden im Kopfe sitzen, eine Feindin. Sie wird Verhinderin von Lösungen. Manchmal scheint es uns einfacher, uns im Gewöhnen zu üben, statt Abschied zu nehmen von alten Zöpfen.
Wie viel Riten der Gewöhnung, wie viel Trott, ausgestampfte Pfade brauchen wir, um uns bequem zu fühlen, während wir über das Grau unseres Alltags klagen?
Ob Gewöhnung schlecht für uns ist oder eine Quelle der Ruhe, ist leicht zu bestimmen: Macht uns unser Umgang mit dem, an das wir uns gewöhnt haben, frei, Neues anzupacken, oder verhindert es dies eher?
Eventuell sollten wir uns als nächstes daran gewöhnen, das Neue zu wagen!
Thinkabout - 2007.04.21, 13:02
Tolerant sein, nachsichtig, neugierig, unvoreingenommen. Was für gute Eigenschaften. Aber keiner kann ich nachleben, ohne Grenzen zu setzen. Grenzenlos proklamiert, ist Toleranz nicht zu leben, es sei denn sehr oberflächlich und damit beliebig. Meine Haltung braucht Linie - und damit Grenzen. Es ist so etwas wie meine private Seite, die Lebbarkeit eines Prinzips - aber auch die Orientierungshilfe für meine Nächsten. Als Erzieher oder Partner muss ich mir stets bewusst sein, dass ich Verständnis nie voraussetzen kann. Es muss mir geschenkt werden. Und vielleicht muss ich auch etwas dafür tun. Ich darf mir nicht zu fein sein, für die Toleranz, die ich mir wünsche, zu arbeiten. Mich, andere zu erklären. Und hinzuhören. Also selbst Toleranz zu üben.
Im Westen sind wir stolz auf unsere tolerante Kultur. Und lassen sie damit allzu oft beliebig werden. Wir setzen dem Fremden gar nichts Eigenes mehr entgegen (oder daneben). Aus Toleranz wird so eben Beliebigkeit, und sehr oft kommt es mir vor, dass wir dadurch, dass wir gar keine Grenzen setzen, dem Erfordernis ausweichen, Stellung beziehen zu müssen.
Wir sind lieber tolerant.
Dem Fremden, der sich assimilieren will, muss ich aber auch mein eigenes Denken und Fühlen vorleben. Bin ich dazu bereit? Bin ich bereit, mich zu erklären, mein Denken und Fühlen zu zeigen?
Toleranz scheitert umgekehrt doch oft an den eigenen Grenzen. Was ich selbst mir gegenüber nicht fertig bringe, kann ich anderen nicht zubilligen.
Eine Toleranzgrenze kann auch ein populistisch gewachsenes Panzerhindernis sein. Fuhrwerk der Politik. Tausendfach repetiert nicht wahrer werdend, aber fixierter.
Darum ein Loblied der Neugier, die immer wieder mal irgendwo plötzlich geweckt werden könnte: Oft muss nur eine erste Frage provoziert werden: Wie, warum macht Ihr das so, und ganz anders als ich?
Was denkt Ihr Euch dabei? (Und ist das auch was für mich?).
Bitte erst damit anfangen, wenn wir für die gleichen Fragen an uns auch bereit sind. Aber vielleicht stossen wir ja auf so Tolerante und Verständige, die uns erst einmal sagen, was sie so toll finden an uns, sorry, an unserem Denken und Leben, nur so zum Beispiel.
Dann bleibt allenfalls ein leichtes Erröten, das gut in einem ersten Smalltalk aufgefangen werden kann, auf dass die Toleranzgrenzen zukünftig dort gesetzt werden können und auch sollen, wo sie für das Zusammenleben Aller auch hingehören.
Thinkabout - 2007.04.19, 19:23
Wir sind es alle. Bauchgesteuert, einem Reflex gleich, kommt das Wort geflogen, aus unserem Mund, das verletzt, weil wir uns zuvor selbst stechen liessen in die Eiterbeule unserer Eitelkeit. Oder was auch immer. Suchen Sie es sich aus. Was tun wir nicht alles, was wir bereuen, um dennoch die Muster nicht abstellen zu können, die dazu führen, auch beim nächsten Mal...
Für die Gesellschaft sind Wiederholungstäter Niederlagen. Ein Programm der Wiedereingliederung ist gescheitert. Wir haben sanktioniert, aber es hat nicht den gewünschten Effekt gehabt. Eine Tat wurde gesühnt, aber vielleicht nicht bereut, und ob sie verziehen wurde, wissen wir erst recht nicht zu sagen. Wie viel Kredit oder Strafe braucht ein Missetäter? Dummerweise gibt es ihn nicht, den Archetypen, und damit auch nicht die Anstalt, die zu ihm passt. Zu jedem. Eine Anstalt macht Anstalten, eine Lösung zu suchen, ähnlich hilflos wie der Beanstaltete selbst.
Es gibt Richtlinien, immerhin, Regeln, einseitig angeordnet, zwansgshaft natürlich, nach innen und aussen mit einer gewissen Hilflosigkeit versehen.
Mein Nachbar ist Wiederholungstäter, wenn er die immer gleichen Dinge moniert, und ich bin es auch. Wir nähern uns nicht an, wir sind zu verschieden. Wie wird ein Mensch, der von der Mehrheit verschieden ist, diszipliniert, begradigt, geführt?
Wie viel Aufwand verträgt sich mit unserem Glück, dies selbst nicht zu brauchen, um uns anpassen zu können.
Wie viele Wiederholungen sind eine zuviel? Was ist unsere Schuld, wenn unsere eigene Wiederholung erneut verletzt? Ist die eigene Schuld grösser oder das Leid, das tief in uns zu entdecken wäre, dass wir uns selbst nicht leichter zu ändern vermögen?
Eine wiederholte Tat fördert die Ungeduld. Die Misshandelten haben in ihrem Schreien noch mehr Recht. Und doch ist damit allein nichts gewonnen und kein Geschehen weggeschlossen.
Waren Wiederholungen für uns alle leichter zu vermeiden, wenn die Veränderung an sich mehr gewollt wäre, wenn sie mehr Platz bekäme in unser aller bequemem Leben?
Thinkabout - 2007.04.17, 15:56
Der Anfang vom Ende, wenn die Ehe alltäglich empfunden wird? Nein. Es ist der Anfang vom Rest - und unter Umständen vom besten Teil an diesem Lebensprojekt, an dem so viele junge Menschen nach wie vor bereit sind, ihr Glück fest zu machen. Im Alltag muss die Ehe Halt geben. Sie tut es nicht mit Sensationen, sondern mit sensitiv wahrnehmbar bleibenden Vertrautheiten - täglich, wenn möglich.
Ein altes oder altgedientes Ehepaar, das sich nicht aufgerieben hat, lebt nicht zuletzt von all jenen Dingen, die nicht mehr ausgesprochen werden müssen. Und daneben von den kleinen Kennwörtern, die ganz zu diesem Paar gehören und jedesmal wieder die Geschichte erzählen, wie es dazu kam, wie es kam.
Ehe im Alltag kann unaufgesetzte,unaufgedrängte Verbindlichkeit sein, ein Beieinander, das nicht weniger sein muss als ein Miteinander.
Ist es nicht herrlich, einmal nichts erklären zu müssen?
Und wenn umgekehrt in die Stille des Alltags der einfachste Satz fällt, den die Menschen kennen und der ihnen nie zu banal wird, wahrscheinlich, weil sie nicht erfassen können, wie viel er wirklich zu bedeuten vermag: Ich liebe Dich. Dann IST das eine Sensation. Siehe oben.
Je älter ich werde, desto unaufgeregter braucht das Drumrum zu sein. Je einfacher dieser Satz gesprochen wird, um so schöner wird er.
Um ihn herum erzählt sich ein ganzes Leben und Lieben. Jeden Tag neu, auch wenn er nicht gesprochen wird. Manchmal wird er vielleicht nicht mal gefühlt, nur gewusst. Und manchmal muss man darum kämpfen, das er wieder Leben bekommt. Immer aber ist er etwas Gemeinsames, das Geborgenheit schenkt, aber nicht Gefängnis sein darf. Nie. Es gibt Ehemänner, die Tennis spielen mit Kollegen, weil auch Kollegen wichtig sind. Und es gibt Ehemänner, die es tun, und dabei Ehemänner bleiben: Hobby und Freiräume sind Teil der Liebe, des Alltags, der ein Fest sein kann. Und indem ich voller Freude meinen stillen einsamen Tag begehe oder ebenso leichten Herzens zum Tennis fahre, ehre ich die Liebe meiner Frau.
Zusammen genügsamer werden können - wie erkläre ich Euch, dass dies keine Niederlage ist, sondern neuen Reichtum begründet?!
Thinkabout - 2007.04.16, 19:34
Wie viele Worte haben wir für die Sinneswahrnehmungen unserer Augen? Meist benutzen wir sie ohne Nachdenken oder bewusste Selektion. Das eine mag mehr hochdeutsch sein als das andere, aber die möglichen Unterscheidungen gingen tiefer.
Sehen, blicken, schauen. Wir können lugen, gewissermassen gedehnt schauen, oder ist das dann ein gucken? Wie mit allen Sinnen können wir auch mit unseren Augen bewusst "arbeiten" oder zumindest auf Empfang stehen für das Wunderbare, was sie uns melden.
Wenn wir denken, sehen wir im Grunde nach innen. Eigentlich sehen wir immer, selbst das Nichs ist schwarz und damit nicht farblos. Wir denken in Bildern, lesen tun wir sowieso mit unseren eigenen Assoziationen. Wenn wir ein Buch lesen, dann denken wir usn vielleicht auch die Gerüche und die Töne, vor allem aber sehen wir die Welt, die wir uns vor-stellen vor unser inneres Auge.
Wir können bewusst hinsehen, unserer Phantasie auch etwas zutrauen, das grosse Denken während wir im Inneren sehen - und das Kleine beobachten, am Wegesrand, wirklich hinsehen, das Tempo heraus nehmen aus dem Wisch, mit dem wir den Kopf drehen und dabei über die Gegenstände huschen, ohne Halt, ohne Tiefe. Oder aber wir können Filmen, die Schnitte setzen, wie ein Regisseur, Standbilder einfügen, innehalten, bis sich die Knie wie von selbst beugen, weil wir etwas genauer wissen, sehen wollen.
Manchmal ist es ein ganz stilles Wunder, eine alltägliche Sensation, die unheimlich trösten kann: Wenn unser Sehen zum Beobachten wird und wir die Zeit anhalten, sie stehen lassen und sie erhalten bleibt, für ein genaueres Hinsehen.
Und im nächsten Moment gucken wir nach dem Flüchtigen, blicken uns um, geniessen wir die Leichtigkeit rauschender Farben, flüchtiger Lichtpunkte, tanzender Lichter auf welligen Wasserspiegeln. Auch dies kann sehen sein: Genuss ohne Gedanke, Sinnenfreude pur, Sehen mit geschlossenen Augen, der Wärme eine Farbe zuordnen und dem Wind ein Gesicht geben, der die Stirn kühlt...
Thinkabout - 2007.04.15, 20:48
Wenn Hartnäckigkeit sich in ein Projekt, ein Verhalten, eine Ausdauer verbeisst, wie ein Hund, der eine Beute nicht mehr frei gibt, wird aus der ursprünglich bewunderten Zielstrebigkeit die negativ empfundene Verbissenheit. Wer verbissen an etwas festhält, kann nicht mehr lächeln. Die Fokussierung ist längst zur Verkrampfung geworden. Der Tunnelblick visiert nicht an sondern schottet ab. Geht mir weg, ihr griesgrämigen missliebigen Kritiker, sagt der Sturkopf, der selbst nur einfach noch mürrisch ist.
Und doch gibt es sie, die Granitgrinde, die einfach nur stur im Kraftraum für das sportliche Comeback schuften und irgendwann allen die neuen Trophäen an den Kopf halten wollen, wild entschlossen, dann auch den Erfolg allein zu geniessen.
Wen wir verbissen nennen, dem unterstellen wir Einseitigkeit. Aber wir haben wohl auch ein Gespür dabei, wann etwas nicht mehr gut kommt mit einem Menschen, er sich uns entfremdet. Wenn nur Bewunderung für seine Willenskraft mich mit einem Menschen verbindet, kann ich ihm nicht wirklich nahe kommen. Wie jede Bewunderung, hebt auch diese jemanden von mir ab, weg, hoch. Hier kommt dazu, dass eine Form der Härte gegen sich selbst bewundert wird, die sich auch nach aussen richtet.
"Mir kann niemand was", sagt dieser Mensch, und sucht gleichzeitig die Bestätigung in einer Leistung, die genau diese Niemands am Ende dann doch anerkennen sollen.
Es ist nicht nur im Kraftraum einsam für gewisse Erfolgsmenschen, und die Schulterklopfer "danach" zu erkennen, mag zwar vor Enttäuschungen helfen, aber die Genugtuung, "es" geschafft zu haben, ist deutlich weniger wert als die Freude, auch einen Erfolg teilen zu können.
Wer daher im Gegensatz zum Verbissenen aufgibt, setzt vielleicht einfach Werte anders, hört auf seinen Körper oder ist nicht bereit, jeden Preis zu bezahlen.
Weichere Menschen sind weniger hart. Das zumindest ist wahr.
Lernen aber dürfen wir alle von einander, die Genügsamen auch von den Verbissenenen, die Hartnäckigen von den Flanierern, die Schleicher von den Zielstrebigen. Und alle von einander, wenn die einmal angedachte Ausrichtung nicht durchgehalten werden kann.
Lebensmodelle, Erfolgsstrategien - immer ist am Schluss das gütige Lächeln des realen Lebens die Quelle echter Befriedigung. Und damit auch Grund zur Demut.
Thinkabout - 2007.04.15, 11:55
Schön, wenn es das gäbe. Und das meine ich ernst. Ja, ja, ich weiss, es "gibt" Veranstaltungen dazu. Zurschaustellungen könnte man es wohl auch nennen. Und natürlich wird darüber berichtet. Mann und Frau kann sich ja heute alles ansehen, also wird auch darüber berichtet. Aber wie? Und was gibt es denn wirklich zu berichten?
Die eigentlich fortschrittliche Handlung daran scheint mir mehr die offen gelegte Diskrepanz zu sein:
Was an die Öffentlichkeit gezerrt wird, will scheinen und glänzen, stellt sich dar. Das tut zwar Mode auch. Aber im Gegensatz zu unserer Koketterie des Verhüllens, haben wir beim Enthüllen alles andere als Stil entwickelt. Es scheint geradezu, dass wir, was "endlich" auch noch Thema wird, gleich mit dem Kübel ausleeren müssen, bevor wir uns die Finger verbrennen.
Mag sein, dass so manche(r) dadurch den Mut findet, sich Bedürfnisse einzugestehen.
Aber über Sex öffentlich reden ist schon schwierig genug. Ihn öffentlich zu verkaufen, oder auch nur die Hilfen für sein Erleben, ist fast schon zum Scheitern verurteilt. Mag ja sein, dass heute jeder(r) durch diese Messehallen schreiten kann, aber irgendwie ziehen doch die meisten den Kopf ein, wenn eine andere Kamera als die eigene auftaucht.
Was öffentlich wird, hier, soll ja auch nicht wirklich normal werden. Es sollte doch seinen Zauber behalten. Ob das die Gesellschaft wirklich möglich macht?
Eine Messe im eigentlichen Sinn, ach wäre das schön! Eine Lesung, die sich tatsächlich mit dem Lebensentwurf Liebe und Sex beschäftigt, ohne zu fäkalisieren. In einer anderen Zeit vielleicht, eines Tages.
So an die Öffentlichkeit gezerrt wird nicht wirklich alles besser. Es wird nur öffentlich kompliziert.
Und wenn ich dann kichernde Menschen durch die Gänge schlendern sehe am Fernsehen, dann soll das entkrampfend wirken?
Wir verballhornen alles. Ist einfach fürchterlich, finde ich. Wir reden alle Phänomene normal, und Lügen uns in die Tasche dabei. Mit den sexuellen Spielarten, die wir alle in den Mund und ins Bild nehmen, demaskieren wir genau das am Allerdeutlichsten. Denn selten sprechen so viele Menschen so viele Worte so hohl aus wie in diesem Fall.
Gedruckt, was sage ich, gefilmt wird es dennoch. Passt gut ins Nachmittags-Talk-Programm, und damit wird er uns definitiv genommen, der Sex, als intimes und damit verschwörerisch lustvolles Spiel für Erwachsene.
Thinkabout - 2007.04.14, 15:10
Wenn mir jemand zu einem Stichwortvorschlag schreibt: " Was denkst du über..." dann berührt mich das (ich hoffe, nicht nur mein Ego): Es regt sich so was wie Verantwortungsgefühl: Es ist nicht egal, was Du schreibst. Es wird hingelesen. Ich vesuche dabei einfach, nicht zu verfälschen. Manchmal ist es gut, wirklich drauf los zu schreiben. Fast immer wohl, um die wahre Ehrlichkeit des momentanen Denkens fest zu halten...
Das, was wir "Lebensziel" nennen, ist doch sehr nah an unseren Erwartungen zu unserem Werdegang. 50% arbeiten in der Schweiz mit 40 nicht mehr im angestammten, sprich gelernten Beruf. Das Lebensprinzip ist also zu einem hohen Mass die Veränderung. Gelernt wird in Fortbilundungskursen die immerwährende Anpassung an Anforderungen. Und so ändern sich die Realitäten. Irgendwo war mal ein Wunsch...
Träume. Vorstellungen von einer Stellung, einer Befriedigung in einer Tätigkeit, einem intakten Umfeld, Beziehungen, die funtkionieren. Gefühle, die nicht unterdrückt werden. Eine Heimat, die ein Raum ist, der beschützt ist, in dem ich nicht denken muss, sondern fühlen und leben darf. Nicht fragen, wie wirke ich? Wissen, ich bin als ich gewollt. Ich bin genug.
Das ist für mich Lebensziel: Kein Ziel höher zu setzen als das eigene tiefste Bedürfnis nach Nähe zu meinem Kern. In meinem Jetzt nicht davon schweifen. Und gelassen sein mit mir und meinen Träumen zulächeln. Sie nicht verbittert verabschieden, wenn sie nicht eintreffen, sondern mich daran freuen, was ich gelernt habe, zu erkennen und zu schätzen.
Ein Lebensziel kann es sein, das Leben nicht nützen zu wollen, sondern es zu leben und zu befragen: Was will es mit mir? Was kann ich mit ihm?
Ein Leben wird nicht länger, nur weil ich weiss, dass seine Zeit begrenzt ist. Und würde ich nur bedenken, was ich alles verpasst habe, so könnte ich daran verrückt werden und würde erst recht nicht dahin kommen, wo ich hin will.
Wie soll ich wo hin, wenn ich gar nicht auf meinem eigenen Fahrzeug sitze? Was habe ich in einem Zug verloren, von dem andere sagen, dass ich damit fahren soll?
Wenn es einen Fahrplan für mein Leben gibt, warum mache ich mir dann Gedanken über das Morgen? Vielleicht sollte ich einfach den Morgen begehen, der ist. Jetzt gerade aufstehen und ins Bad gehen und dabei darauf achten, wie sich die Füsse Schritt für Schritt vor einander setzen. Wie ich noch ein bisschen schlurfe und taumle, schläfrig, wie ich bin. Und dann leise lächeln, wenn ich unter der Dusche merke, wie sich ein Zeh leicht spreizt, ohne dass ich was dazu tue, als möchte er sich subversiv am erfrischenden Nass freuen und ein bisschen für sich tanzen.
Vielleicht ist es das grösste Lebensziel, diese bewusste Wahrnehmung der morgendlichen Dusche wiederholen zu können. Gleich morgen früh. Das Schönste, was ich hier doch versprechen kann, ist die Gewissheit, dass - wenn mir das gelingt - mir morgen die nächste wirkliche Wichtigkeit ganz von allein einfallen wird. Ich kann ein Gefühl dafür bekommen, was mein Leben für ein Ziel hat. Und dass dieses Ziel immer gleich vor meiner Nase liegt. Und dass daraus auch wirklich grosse Dinge werden können - wer mag es bestreiten? Nur, ob das wirklich wichtig ist?
Thinkabout - 2007.04.14, 14:17
Zu einer intellektuell übersättigten Gesellschaft gehören auch blubbernde und im Schlick der fabulösen Schlagwortbildung stecken bleibende neue Wortschöpfungen, beliebt für die Kategorie "Unwort des Jahres". Ob das Prekariat dazu gehört? Keine Ahnung.
Junge Schlagworte haben den Nachteil, dass sie sich viel schneller verbreiten, als dass die Leute wirklich wissen, von was die Rede ist. So geht es mir jetzt auch gerade.
Das Prekariat folgt auf das Proletariat? Nicht nur Arbeiter, sondern durchaus auch Angestellte, mit oder ohne Job, deren materielles Auskommen in eher prekärer Verfassung ist…
Ich glaube, solche Schlagworte erfindet eine Gesellschaft, die jenseits aller Ideologien in der Welt der reinen Sachzwänge angekommen ist. Ein Schlagwort wie ein Beweis für den Totschlag des Kommunismus. Auch wenn Du Probleme hast, deine Kinder durchzufüttern, so ist das allenfalls prekär und ich ordne dich auch gerne ein, aber nicht wirklich in einer Klasse, nein, sondern in einer unverbindlicher bleibenden Schnittmenge verschiedener A…-Karten-BesitzerInnen, mit denen wir, die Gesellschaft, so halt ein paar Probleme haben, möge auch lieber nicht diskutiert werden, wer das Problem verursacht haben könnte…
Links und rechts vom kapitalen Weg fällt bei der Globalisierung halt ein wenig Müll an. Unschön, aber objektivierbar. Alle sind mit dem Tellerwäschersyndrom geimpft – und wenn nicht, dann sollen sie es bleiben lassen. Der Staat allerdings soll die Finger davon lassen, denn der Staat braucht unser Geld, auf jeden Fall den Teil, den wir nicht in Sicherheit bringen können.
Prekariat – prekär ist ein wunderbar sachliches und an sich noch wertfreies Wort. Die Schuldzuweisung liegt noch nicht darin. Sie muss noch hinzu gedacht werden. Was bitte ist am Prekariat prekär? Und für wen? Wer oder was ist für wen eine Schande? Wer fühlt sich warum verantwortlich? Welche Art Investition geht denn überhaupt vom Staat aus? Wer reguliert, was ich gar nicht reguliert haben will, "wenn ich mir nichts vorzuwerfen habe und meine Steuern zahle". Und wer könnte das besser beurteilen als ich selbst?
Thinkabout - 2007.04.13, 16:34