Mensch

Freitag, 13. April 2007

Wunschidentität

Wäre ich doch der oder jener! Wir machen uns so gerne Bilder von uns selbst – oder besser davon, wie uns andere sehen sollen. Dabei beschäftigt man sich eigentlich mit dem Wirken, dem Ansehen, der Stellung einer Person. Was überhaupt nichts mit der Identität zu tun hat.
Wenn es doch nur unser aller innigster Wunsch wäre, uns selbst sein zu können. DAS wäre nämlich unser Glück.

Vielleicht gibt es für das Stichwort bald einen neuen Begriff: Avatar. Schaffe Dir Dein Avatar, Deine Identität in Second Life, nur so zum Beispiel. Virtuell können wir leichter als jemals zuvor irgendwer sein, und die – scheinbaren – Vernetzungen gaukeln Interaktionen vor, die am Ende gar noch für Beziehungen gehalten werden.

Interessant ist auch, dass wir uns immer wieder an anderen orientieren und uns Vorstellungen davon machen, wie sich das Leben anfühlen muss, das uns da anlacht. Wir alle wären wohl ziemlich erstaunt und überrascht, wie sich nur schon unsere Nachbarn im Detail unser Leben vorstellen, und nicht selten könnten wir darüber wohl nur den Kopf schütteln oder im besseren Fall laut darüber lachen.

Warum wollen wir immer das Gras jenseits des Gartenzauns? Da ist unser aller Leben von einem Wohlstand geprägt, den in dieser Form keine Generation vor uns kannte, und mit was beschäftigen wir uns? Mit der Vor-Sorge vor (nein für, hoffentlich) der unsicheren Zukunft und mit dem Leben links von uns, das bestimmt angenehmer ist. Wir wünschen uns im Grunde immer den Schein, einen Glanz, und kennen dabei in unserem eigenen individuellen Paradies vor allem die Grautöne. Oder viel zu oft. Sonst kämen wir gar nicht auf solche Weitblicke, die im Grunde gar keine Blicke sind.

Wir leben alle im ständigen Vergleich. Und die Massstäbe für dieses Vergleichen gibt uns die Gesellschaft mit ihren Statussymbolen vor. Noch nie hätten so viele Menschen leichten Herzens aus dem Hamsterrad springen können, aber stattdessen strampeln sie weiter in der Masse und freuen sich allenfalls, dass sie im Rad zwei Zentimeter weiter vorn sind mit den Schnauzhaaren… Nur, was bekommen die schon zu fühlen?

Mein Wunsch wäre, meine Identität zu finden. Mich zu kennen ist das erste Ziel. Überhaupt Person werden, Persönlichkeit, Ich und nicht nur Ego. Was für eine verlockende und lohnende Aufgabe. Päng – schon wieder eine leistungsorientierte Aussage. Oder doch nicht? Aufgabe? Auf-Gabe. Aufgeben. Wir könnten so Vieles aufgeben, ohne dass es wirklich einer Niederlage gleich käme…

Donnerstag, 12. April 2007

Entschuldigung

Die einen bringen das Wort nie über die Lippen, die anderen entschuldigen sich für alles, auch ganz ohne Grund. Deren ganze Anwesenheit scheint ihnen manchmal wie ein Irrtum zu erscheinen. Sie machen so lange, bis Du es glaubst, und genau dann magst Du überhaupt gar nichts mehr entschuldigen...
Eine Entschuldigung auszusprechen, wenn man einen Fehler gemacht hat, kann aber auch eine wahre Kunst sein. Fehler im mitmenschlichen Umgang passieren uns ja leider nicht nur mit Menschen, die wir mögen. Ganz im Gegenteil. Wie nahe liegt es da, eine Entschuldigung zu unterlassen. Der andere ist ja eh ein Giftsack, und ich könnte ja Dinge aufzählen, die gehen auf keine Kuhhaut. Aber hier und jetzt trifft ihn etwas von mir, das falsch war und ist und nicht besser wird, wenn ich es totschweige. Ganz im Gegenteil. Es wächst sich zu einem Geschwür aus. Zumindest meldet sich der Stachel immer mal wieder, wie ein Holzspan, der durch die Hornhaut die Weichteile erreicht. Gewisse Griffe unterlässt Du dann einfach. Eine Hand wird nutzlos, ein Finger... Eine unterlassene Entschuldigung ist wie ein Sandkorn im Getriebe. Es kann tiefer rutschen und zum Kolbenfresser werden. Man müsste nur mal schnell den Motor abschalten und gleich anfügen, dass man dafür selbst die Verantwortung trägt, und sagen: Es tut mir leid.
Was für eine Waffe das ist für unser Seelenheil. Es kann so stark und souverän werden in uns, dieses erlösende Gefühl, dass kaum mehr eine Rolle spielt, ob die Entschuldigung angenommen wird. Ob sie aufrichtig gemeint ist, wissen wir ja eh selbst am besten.
Dein und mein Gewissen - wie oft schon haben wir geflucht, dass wir offensichtlich mehr Gewissen haben als der scheinbar Rücksichtslose neben und vor allem vor uns? Warum lässt sich diese imaginäre Fussfessel nicht abschütteln oder wenigstens ignorieren?
Wahrscheinlich sind die, an welchen wir unsere Fehler machen, immer auch unsere Lehrer.
Der Schüler bleibt im Grunde souverän. Je mehr er lernt, um so besser wird er wissen, was er sich wirklich verinnerlichen muss.
Und so lerne ich, mit meinem Gewissen umzugehen. Ich schütze es oder ich begradige es, in dem ich es frei mache vom Ballast falsch verstandener Wohlgefälligkeit. Die Stachel, die ich aber vielleicht setzte, vermag ich sehr wohl zu erinnern und deren Wirkung auch zu erfühlen - und sie mögen ihre Wirkung haben, aber für was? Was relativiert sich alles so oft in nur schon ein paar Minuten...
Es gibt zur angebrachten Entschuldigung keine Alternative. Höchstens noch einen zusätzlichen Lernauftrag: Das nächste Mal bedenken, was das gesprochene Wort, das Geschriebene, die kleine Tat alles bewirken mag. Aber bitte nicht so sehr, dass Sie vorausschauend alles unterlassen, was irgend eine Wirkung haben könnte. Denn parallel zu Ihrer Besonnenheit ist der Verletzte auch in der Lage, seinerseits Abstand zu gewinnen und sein eigenes Fordern immer auch für sich selbst an sein eigenes Ich zu richten...

Potenzstörung

Auch weia, Tina, da hast Du mir ja was eingebrockt...

Wenn da wenigstens nur stünde: Potenz. Punkt. Aber es geht explizit um die Störung. Was es mir erlaubt, zuerst einmal darüber zu lamentieren, wie ungerecht es verteilt ist mit der männlichen und weiblichen Lust: So offensichtlich, wie unser Unvermögen zur Schau getragen werden muss. Aber die Natur dürfte doch auch sich etwas dabei gedacht haben, denn könnten wir unsere Unlust in uns verstecken und so tun als ob, auch hier, dann würden wir wohl überhaupt nicht über uns und unsere Bedürfnisse reden, geschweige denn über Ängste...
Ist eine Potenzstörung eigentlich per se eine Störung? Könnte sie dem Manne nicht auch eine Hilfe sein, ein gütig auferlegter Zwang, sich seiner Sexualität und der körperlichen Begegnung anders als über den direkten Beischlaf zu nähern?
Und dann bin ich mir gleich nicht mehr so sicher, wie das denn heute sein mag, in der Welt der bestimmenden Generation, von der ich ganz andere Töne lese, forschere, zumindest in der Werbung, von Frau, die weiss was sie will, und es auch fordert. Au weia.
Es ist traurig bestimmt um die Geschlechter, wenn die Masten alle in Hab Acht stehen und niemals brechen sollen. Aber sie tun es, immer mal wieder, und das muss nicht schlecht sein, wenn es auch hilflos machen mag.
So genau weiss ich da nicht Bescheid, in meinem Biotop einer geschützten Vertrautheit, in der ich zu zweit ich selbst sein darf und das wichtigste an der körperlichen Kommunikation die Umarmung ist, das Bei-einander-sein.
Das teuflische Stiefbrüderchen der Potenzstörung ist doch die Erwartung, und welche menschliche und insbesondere männliche Erwartung basiert noch mehr auf Desinformation oder schamhafter Lüge der anderen und einem selbst, wenn irgendwo über Sex gesprochen wird. Das immerhin tun wir ja heute fast alle, oder wir tun zumindest so... Das geht dann eben leider unter dem Bettlaken nicht mehr...
Es kann doch einfach mühsam sein, immer die Brust raus strecken zu müssen, den dicken Max markieren, sprichwörtlich, und dabei stets den tradierten Bildern folgen, die man intus hat. diese Imitationen des Männlichen, mit den Bubenaugen und -köpfen aufgesogen, unbewusst, immer im fatalen Missbehagen, dass die Emotion sich irgendwie nirgends hinpacken lässt, wo sie auch jederzeit ausgepackt werden darf...

Willkommen im Klub, rufe ich, Ihr perfekten Hausfrau, Mütter und Gespielinnen in Personalunion, packen wir Euch zu unseren eigenen Ängsten unter unser Bettlaken, und dann brüten wir das in der Umarmung zusammen aus und sind doch einfach dankbar, dass wir nicht Übermenschen sein müssen noch über den Menschen stehen, sondern zwei ganz normale Exemplare unter ihnen sind, vielleicht ein bisschen gelassener sogar gegenüber den Regungen, die auch mal ausbleiben und andere ankündigen. Wenn wir nur genug Zeit haben, und wir haben sie alle, dann können wir uns doch einfach überraschen lassen vom Tag und eine neue Neugierde lernen. Auf alle Facetten. Bei Lichte und im Dunkeln.

Ist da ein Zauber? Dann genug jetzt der Worte, ich möchte statt dessen auf meine Gefühle horchen - und nicht nur auf die meinen.
Es ist so furchtbar schön, getragen zu werden...

Linksverkehr

Ob rechts oder links rum - was ist verkehrt, wenn es verkehrt? Wo Menschen mit verschiedenen Tempi oder in verschiedenen Richtungen unterwegs sind, braucht es Regeln für die Begegnungen, die keine sind... (oder werden sollen). Was wir uns gewohnt sind, wird, ist "die Regel". Sie gibt uns Sicherheit. Wir können sie auch reklamieren. Was für mich gilt, soll für alle gelten - und kann durchgesetzt werden, weil es vernünftig ist.
Plötzlich in den Linksverkehr geworfen zu werden, kann problematisch sein. Netterweise sind die Steuerräder auch anders rum angeordnet, so dass sich das Raumgefühl an bestimmten gleich bleibenden Abständen orientieren kann (Bezug des Fahrers zur Mittellinie). Das hilft zur Orientierung und Angewöhnung, bei der man das Vertraute sucht. Aus dem Blechkäfig ist das übrigens einfacher als z.B. als Radfahrer. Es ist nicht zu empfehlen, "aus dem Stand" mit einem rechtsverkehrs-gepolten Hirn per Zweirad links fahren zu wollen. Das kommt dann gern verkehrt raus und ist angesichts der fehlenden Knautschzone ist der Lernprozess schmerzhaft. Also besser in der Masse der Fussgäner mitgehen oder das Taxi nehmen.
So oder so: Erstaunlich, wie schnell man sich umgewöhnt. Es gibt für so viele Alltagsdinge nur das Gewohnte, aber nicht das Normale. Nicht schlechter noch besser ist die eine oder andere Regel, auf jeden Fall dann, wenn sie respektiert wird. Und wie steht es mit dem allgemeinen Chaos? Autofahren in Kairo hat nur die eine Regel: Dass sie, wie sie auch immer heissen mag, ignoriert wird. Darum fahre ich an solchen Orten grundsätzlich nie selber. Hat's gekracht, beginnen sonst womöglich plötzlich Regeln zu gelten, die ich mir nicht träumen liesse...
Regeln verheissen Sicherheit, Verlässlichkeit, und es ist ein dummes Gefühl, wenn man von sich weiss, dass man sie entweder nicht kennt oder sie noch lernen muss. Du bewegst Dich unter vielen eigen, fremd. Die Unsicherheit der Fremden unter uns, wie gut wäre sie doch zu verstehen! Deshalb sollten wir, wann immer wir erkennen, dass jemand die Scheu überwindet, nach Hilfe zu bitten, diese auch geben - und ein bisschen Geduld und Zeit mit hinüber geben, damit die bei uns geltenden Mittelstreifen und Richtwege verständlicher werden.
Auch im Linksverkehr gibt es übrigens Stopp-Signale. In der normalen Hetze sind sie ärgerlich, zeitraubend. Vielleicht. Wenn Du als Fremder in der Stadt etwas suchst, ob linksrum oder rechtsrum, so ist ein Stoppschild unter Umständen ein Segen. Einen Moment die Bewegung anhalten, um den eigenen Stand zu orten und das neue Ziel zu finden...
  • Ich danke der Stichwortgeberin Caro

Montag, 9. April 2007

Klassenzimmer

Können Sie sich noch erinnern, als Sie erstmals Ihr Klassenzimmer betraten? Und wie anders dieses Zimmer auf sie wirkte, als Sie es das letzte Mal verliessen? Gibt es Räume, die mehr Geschichte atmen? Die stärker angefüllt sind von Hoffnungen und Träumen, Ängsten und Freuden?
Ein steriles neues Klassenzimmer ist irgendwie der hilflose Versuch, etwas Verfängliches und absolut gefangen Nehmendes harmlos aussehen zu lassen. Es macht Schwupps, und das Zimmer füllt sich mit Geschichten.
Der Lehrer, die Lehrerin bemüht sich nach Kräften, positive Lern-Anreize zu schaffen, die Synapsen sollen hüpfen in unseren Hirnen, oder so ähnlich. Assoziativ sollen wir spielerisch aufnehmen, was es zu lernen gibt - auch an Tagen, an denen nichts so attraktiv ist wie der Blick aus dem Fenster und der Film vor dem eigenen Auge, der von der bevorstehenden Fussballschlacht erzählt und von meinem Siegtor, das ich ganz bestimmt schiessen werde...
Und die Wände? Sie füllen sich mit unseren Werken, das Lernen wird dokumentiert, und das Nichtlernen auch, wie mir scheint. Im Alter, also dann, wenn ich glaube, schon erwachsen zu sein, vor allem aber die Erwachsenen nicht ausstehen kann, die so anders sind, wird das peinlich, mit den Arbeiten an der Wand. Und o Wunder, dann ist das auch vorbei.
Und können Sie sich an die Elterntage erinnern, oder die letzten Schultage, wenn die Zimmer vollgestopft sind und alles irgendwie zum Zirkus wird, und doch der Lehrer strahlt, wenn alles gut läuft. An diesem Tag ist er selbst ein wenig der Schüler, oder der Dompteur an seinem eigenen Examen, und dann wird dieses Zimmer für ihn ein bisschen das, was es für uns das ganze Jahr über ist.
Das Holz in den Bänken, es kann noch so glatt geschliffen sein, es sitzt sich blank mit der Zeit und erzählt Geschichten. Alles erzählt hier und flüstert und müffelt irgendwie lebendig vor sich hin, nicht tot zu kriegen, zum Schweigen zu bringen. Und wir hocken uns ein in den Bänken, und fügen neue Tintenkleckse hinzu, kritzeln heimlich Hyroglyphen, die wir selbst nicht verstehen. Einfach sich bemerkbar machen, irgendwie, ohne aufzufallen, den Druck abgeben, der im besten Fall einer des übervollen Herzens und des Spieltriebs ist. Das beste am Klassenzimmer aber bleibt der Blick aus dem Fenster und das Gefühl, idealer Weise, dass Sie sich doch irgendwie behaupten konnten, in diesem ersten grossen kleinen brutalen Biotop und Modell gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Sonntag, 8. April 2007

Gefälligkeit

Können Sie mir eine Gefälligkeit erweisen?
Aber sicher, wenn sie klein genug ist? Praktisch jedem wollen wir doch gefallen, wenn der Aufwand dafür überschaubar ist. Es ist ja sogar höflich, es zu tun... "es", ist ein Tür aufhalten, z.B. Auch gute Manieren sind Gefälligkeiten... Aber ist es wirklich so gefällig, der guten Manier entsprechend einer Dame die Tür aufzuhalten, während man ihr im Grunde - entschuldigen Sie bitte - am liebsten einen Tritt in den Hintern geben würde? Oder, angesichts der Tatsache, dass es sich um eine Dame handelt, die ich allerdings eher dämlich finde, ja, so was gibt es, vielleicht eher eben nicht treten sondern sonst wie piessacken möchte.
Nun können Sie argumentieren, dass zwischen Türrahmen nicht der richtige Ort ist, um grundsätzliche Sympathiewerte zwischen zwei Menschen zu diskutieren. Einverstanden.
Aber Manieren oder Gefälligkeiten, das ist ja noch das positver besetzte Wort, sind halt schon dann am schönsten, wenn sie aufrichtig und tatsächlich achtsam geschenkt werden.
Und es ist eine Kunst, diese grundsätzliche Kunst wertfrei und allen Menschen wert zu denken und dann auch zu praktizieren. Und denjenigen, die um etwas mehr fragen, dann unter Umständen wirklich gerne auch mehr zu geben.
Gefälligkeiten gegenüber bereitwillig zur Tat zu sein kann auch Teil eines allgemeinen Vertrages sein mit seinem Geschick: Wenn ich anständig bin, habe ich dann aber etwas zu gut bei Dir, ja? Dummerweise schliessen wir diese Verträge mit dem Schicksal immer ganz einseitig ab und sehen nie die vis-à-versa-Unterschrift des, ja wessen denn?
Solche Verträge werden auch von Atheisten abgeschlossen, scheint mir...
Ganz auf Kriegsfuss stehe ich mit den freundlich Gefälligen, die Dir ins Gesicht lachen, wenn sie Dir gefällig sind, während sie für sie nicht sichtbar ganz offensichtlich denken: Du A..., kannst mich im Grunde mal. In ihrer Feigheit lachen sie sich ihre scheinbare Häme in sich hinein, bis sie sich daran verschlucken. Zuvor aber fühlen sie sich überlegen, weil sie den guten Geschmack oder zumindest das entsprechende Benehmen für sich gepachtet haben...
Dabei sollten wir alle nicht vergessen, dass das gefällige gute Benehmen eher willfähriges Benehmen ist, da es sich der gesellschaftlichen Bewertung ausgesetzt sieht und daher den geringsten gemeinsamen Nenner der Mehrheit abbilden muss - was meist ziemlich armselig daher kommt, zwangsläufig.

Freitag, 6. April 2007

Kaminfeuer

Ein Kamin habe ich in jungen Jahren immer mit Erhabenheit des eigenen Hauses verbunden: Des eigenen, grossen Hauses. Wir hatten so was nicht. Es war eine Art Luxus, ein nobler Spleen, für den extra baulich zu sorgen eine kleine Extravaganz war, aber eine durchaus noble. Eine Art gesellschaftlich verträgliches Zeichen des Neureichtums.
Ansonsten war das Kaminfeuer, wenn schon, mit Kacheln umschlossen und bildete einen Ofen.
Heute ist das Kaminfeuer längst massentauglich und wird von vielen besessen, ohne benutzt zu werden. Macht ja einen Haufen Arbeit. Davor und danach zumindest, wenn es denn perfekt brennt, sonst eigentlich dauernd.
Männer zäuseln ja gern, aber da sie praktisch das Feuer erfunden haben, ist es einigermassen peinlich, wenn es dann überall raucht, nur nicht in erster Linie im Kamin. Vielleicht hat unsere Gesellschaft auch und gerade für die natürliche Attraktivität des Kaminfeuers möglichst peinliche zivilisatorische Kompensationen erfunden. Ich nenne mal zwei: Den Heizofen, der ein Kaminfeuer simuliert, das nicht gewartet werden muss. Und RTL plus, das doch tatsächlich immer mal wieder in der Nacht kein Pausenzeichen sendet, sondern die starr auf ein Kaminfeuer gerichtete Kameraeinstellung. Wenn sich das durchsetzt, stellen vielleicht auch Sie, werte Leser, früher oder später Ihren Fernseher in den Kamin.
Allerdings, immerhin, möchte ich festhalten, dass dieses Phänom schon wieder eine Art Befreiung darstellt. Im Zeitalter der hüpfenden oder auch schon mal hängenden Möpse, von denen auf dem Bidlschirm ein Haufen Telefonnummern ablenken, lässt sich bei RTL plus irgendwie wirklich viel besser einschlafen.
Wenn ich jetzt nichts vom Knistern und Knacken des Holzes, vom Geruch brennender Kohle, vom Flackern und Tanzen des Feuers geschrieben habe, so dass dieser Beitrag alles andere als ein romantischer war, so muss ich mir dazu eben sagen lassen: Auch ich bin ein Kind und Zeuge unserer heutigen Gesellschaft. Punktum. Ans Lagerfeuer muss ich mich drum eben mal an eine Safari in Botswana zurückdenken, und das mache ich jetzt auch - mit Hochgenuss.

Donnerstag, 5. April 2007

Deadline

Neudeutsch ist oft furchtbar. Aber es gibt auch Synonyme darunter, die absolut treffend sind. Eine Deadline ist die Todeslinie jeder Pendenz. Dummerweise nehmen wir das nicht zum willkommenen Anlass, so manche To-Do-Applikation ruhig ihren Tod sterben zu lassen. Nein, wir arbeiten sie weg, ums verrecken, und das tun wir am Ende vor allem selbst. Oder zumindest beinahe. Auf jeden Fall klagen wir deshalb die Wände an, und schlimmer noch, die Kollegen, auch wenn sie es nicht hören wollen.
Natürlich gibt es in Redaktionen Deadlines, die einfach sein müssen, nur so zum Beispiel. Das nennt man Sachzwang, in diesem Zusammenhang ein anderes Wort für Redaktionsschluss. Da schreibe ich doch lieber 10 Minuten drauflos…
Das braucht dann so etwa ein bis zwei Minuten zum Lesen. Ist eine Art wie beim Kochen: Da strampelt sich einer (meist eine) eine halbe Stunde oder auch eine ganze in der Küche ab, und dann ist in fünf Minuten alles weg, bevor jemand überhaupt registriert, dass er nun nicht nur warme Nahrungsfasern intus geschaufelt hat…
Diese Art Deadline für die menschliche Achtsamkeit ist eine jenseits der Arbeitsgruppe und diesseits der Partnerschaft. Und da wird es dann wirklich lebendig. Hoffentlich. Sofern der Redaktionsschluss - siehe oben - nicht alle Lebendigkeit in der Firma einbehalten hat.
Ich bin weder Redakteur noch Journalist noch sonstwie kreativ witzig legitimiert, mit Finger- und vor allem Hirnübungen wie dieser hier meine Brötchen zu verdienen. Wäre dem so, bräuchte ich allerdings wohl häufiger eine solche Deadline, auch wenn im Resultat dann nur etwas heraus kommen mag, was knapp über der Grasnarbe der Deadline wenigstens noch ein bisschen Atem hat…
Und schriebe ich ein Buch und hätte dabei eine Deadline, so würde ich darob ganz bestimmt vergessen, dass sich viele andere wünschten, es würde jemand nach dem Resultat ihrer Rohrkrepierungs-vermeidungsstrategien überhaupt fragen, wie dringend auch immer.
Druck erzeugt Gegendruck - es darf schlicht kein Hirndruck daraus werden. Ausschweifende Geister wie ich können umgekehrt sehr wohl - bei gewissen Arbeiten - etwas Zeitlimit gebrauchen. Führt angenehmer Weise zu etwas Entschlackung endloser Phantasieschlaufen, oder zumindest zum plötzlichen Abbruch eines Textes infolge der Deadl…

Montag, 2. April 2007

Kinderlieder

Ein Kind trällert oder summt oder brummt oder krächzt. Seinen eigenen Ohren ist es egal. Erst, wenn wir die richtigen Töne vorgeben, beginnt das Prüfende, sich selbst einengende, die Selbstkorrektur.
Ich habe nie singen gelernt, bin unmusikalisch in der ursprünglichsten, wirklich Seelenschmerzen verursachenden Form, wann immer ich diese Erkenntnis nicht für mich behalte und sie nicht nur kundtue sondern mich gegen sie verhalte - also singe. Das geschieht sehr selten, fast gar nie, denn ich tue mir damit ja mittlerweile selber weh.
Und als Kind - ja, da habe auch ich ursprünglich mal gesungen. Am Lagerfeuer in der Jungschar vor allem, im Ferienlager, in der behüteten Gemeinschaft, im Chor der eben doch keiner war...
Und meine ursprünglichste Kindheitserfahrung mit Liedern kommt nicht von einem Kinderlied, sondern von Drafi Deutscher. Marmor Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht - das habe ich mit Weltschmerz und Inbrunst gesungen, mit dem imaginären Mikrofon in der Hand, von der Rampe unserer steil abfallenden Garageneinfahrt herunter, ohne Rücksicht auf Verluste. Und das, lange bevor ich überhaupt wusste, wie gut und weh Liebe tun kann...
Song-Kontests allenthalben. Es ist wohl aller Menschen Traum, singen zu können, dass jedes Herz damit angerührt werden kann... Und wie mit allen Kinderträumen sollten wir sie einfach viel weniger leichtfertig hergeben, sollten sie uns mehr gönnen und uns weniger schämen oder grämen oder zurückhalten.
Eine Gemeinschaft der Kinder, in denen jeder Winnetou sein kann oder eine Prinzessin, in der jedes kleine Persönchen sich entfalten will und die Spielfreude in zittrigen fiebrigen hellen Wellen von Brust zu Brust wandert und die Wangen glühen, wenn gesungen wird - wer möchte sich solche Erinnerungen nicht bewahren?
Auf jeden Fall mehr als jene aus dem Blockflötenunterricht, in dem ich für die Ohren des Herrn Lehrers, der im Dorf seine Klavierabende zelebrierte, einfach nur eine Pein war, bis eines Tages das Holz der Flöte zwischen seinen gepressten und gekrallten Knöcheln, die im Krampf ganz weiss geworden waren, zerbarst. Gerne würde ich vergessen, dass es nicht seine rohe Kraft allein war, denn da war auch noch mein Kopf dazwischen und der Schmerz hat die Erinnerung an den Grund der verlorenen altväterisch-lehrerhaften Beherrschung nicht ausgelöscht, ganz im Gegenteil.
Und so singe ich nicht und werde nie singen und ich weiss auch: Ich kann es nicht.
Man muss nicht alles könnne. Es reicht ja auch, wenn ich beim Schreiben meine Hemmungen in der Schublade unter der Tischplatte lasse.
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